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Kategorie: Positionen

Lieber Klaus, Genosse, Freund,

wir als zwei Weggefährten im PV sagen Dir‘s jetzt ‘mal ins Gesicht: Lass Dich mal loben, Klaus. Und lach es nicht lauthals fort, wenn wir‘s, wie‘s unsere Art ist, etwas historisch auf- und überziehn.
Auch, wenn das ziemlich große Lernen der letzten zwei Jahre in Demoskopenprozenten nicht messbar erscheint. Und gerade darum! Dem Kapital und der Macht scheißt der Teufel auf ihren größten Haufen. Glück kommt von oben. Von unten muss gelernt werden. Organisch wächst denen oben zu, was wir uns mühsam organisieren müssen (und vor allem das Lernen um unser neues, so lehrend, lernendes Parteiprogramm!)

 



Und doch: Wäre das nicht der Moment zum Lernen? Die Herrschenden setzen auf unser und aller antikapitalistischen Rebellion Kurz- und Kleinschlagen. Die „Piraten“ führen passend dazu die Theaterinszenierung „Rebellen ohne Rebellion“ auf, frenetisch hochgejubelt von den Konzernmedien; deren Schreibagenten, jeder einzelne für sich, ahnen feixend, wie sehr das gegen alle wahrhaftige Kapitalgegnerschaft wirkt. Mit ihren Piraten nehmen sie der SPD, ganz nebenbei, jede Alternative zur großen Koalition.
Nur hat die Sache einen Haken: Denn bliebe die Linke im Bundestag, würde sie hernach, bei der Großen Koalition, wieder erheblich stärker. Also müssen sie uns ganz ‘raushauen, oder, wie es in feinsinniger Milde Müntefering ins Fernsehn gab, „die Linken unter Wasser drücken“.
Lernten wir nur das, hart und schmerzhaft, bliebe es für uns als Kollektiv entscheidend, dass wir im Bundestag Stimme der Rebellion gegen das Kapital sind und bleiben. Egal, wie stark oder schwach. Vorausgesetzt, ihr Plan geht nicht auf, uns unsere Überlebenskraft zu nehmen! Aber dazu müssen wir lernen, den inszenierten Rebellen die wahrhaftige Rebellion entgegenzusetzen – in Wort, Tat und Führungspersonal.
Von den Kandidaturen für die Spitze gibt es solche, die das Gegenstück von Rebellion und eher Louis Althussers „ideologische Ordnungs- und Staatsapparate“ verkörpern. Weiß Marx: Zu denen gehörst Du ganz und gar nicht! Aus den Fehlern der Vorgängerparteien lernen: Keine Staatspartei im Reservestand sein, kein Schielen mehr nach den Konzernmedien; die sattsam bekannte, piratenbegünstigende Mixtur aus bürokratischem Generalsekret und Intriganz, endlich weit, weit hinter uns zu lassen. Gerissenheit ist keine Führungsqualität.

Lernen mag nicht alles sein. Aber ohne Lernen haben wir nichts gekonnt. Nur: Findet geistiger Fortschritt nicht immer auch als Märchen statt? Zivilisatorisches Dehnen von Anus und Horizont ohne die Metaphern von David und Goliath oder dem tapferen Schneider oder... oder.... Vom Jenseits der Märchenwelt tröstet Dein Landsmann Anzengruber: „S‘kann Dir nix g‘schehn!“ Manche unserer Weggefährten haben den Fortschritt darum nach Maos China, Ches Kuba und Trotzkis SU verlegt.

Und wir, die Unterzeichnenden? Die Messlatte für unser Land stand für uns auch und manchmal vor allem in anderen Kontinenten. „S’kann Dir nix g‘schehn.“ Ein Märchen aus unbefleckter Empfängnis. Leute wie Du begegneten uns dabei bestenfalls mit Verständnis. Wichtiger für Dich: der Blick in die Augen unter Kollegen nach dem Tarifabschluss. Da kann Dir was g'schehn!

Damals riet Enzensberger Leuten wie uns, wir sollten statt Oden besser Fahrpläne und Tariftabellen studieren, als mit chinesischen, sowjetischen, kubanischen und chilenischen Muskeln deutsche Gewichte zu heben.
Hatte der tatsächlich dieses Moment im Auge, der Menschwerdung aus dem Gekrümmten herauswachsend, das „Tarifauseinandersetzung“ genannt wird? Und dann „Streik“ und weniger prosaisch: Arbeitsniederlegung? Dieses Prüfen auf der Zunge: Wie weit geht die Kollegin mit? Und das: „Sind wir noch zu wenige?“ Gegen diese Angst im Nacken, wenn es schief geht, wenn wir uns nur eingeredet hatten, genug zu sein, das Werktor geschlossen zu halten? Und dann doch zu viel gewagt, um dann nach der Niederschlagung des Streiks, mit der Kündigung gar, an der Kasse beim Lebensmittelgeschäft den mitleidigen Blick zu ernten, die dumme Bemerkung des Kumpels beim Skatabend und dann, vor allem, in der Familie nicht nur der „Loser“ zu sein, am Wochenende, sondern auch das Geld für das bisschen Vergnügen „gelost“ zu haben. „Aufrecht durchs Tor“, oft war dies Ende und Neubeginn von Streiks.

Streik ist aller Moderne Anfang. Und gerade wir, die wir im Bundestag nicht streiken, brauchen schließlich und (vor allem) endlich ein vernunftgeführtes Verhältnis zu diesem punktuell exakten Widerwort gegen die Kapitalisierung, die den Planeten von der Menschheit befreit, wenn diese ihr nicht zuvorkommt. Und darum, weil es der Kapitalisierung um so viel aus dem gestern geretteten Besitz geht, hat es Zivilisation ohne Inkaufnahme von Wunden noch nie gegeben, beginnt der aufrechte Gang der abhängig Beschäftigten mit dem Streik. Da, wo „Dir nix g‘schehn kann“, ist kein praktischer Fortschritt; bestenfalls kultureller, fiktive Verschiebung virtueller Kräfte auf einem Spielfeld.

André Gide hat einmal gesagt, die ganze Sowjetunion sei eine Arbeitsverweigerung gegen die Kapitalisierung der Welt. Aber weil dort die Streikposten Panzer hatten und Lager, gilt das nicht, brach der Streik dann doch vor dem Kapital in die Knie. Die Verweigerung von Arbeitskraft mündet dann in den nächsten Zivilisationsschub nach der Revolution von 1789, wenn, was Arbeitskraft und was Kapital ist, zumindest als Ahnung in ihr vorherrscht. Lernen kann nämlich immer Gegenmacht sein und setzt sich auch nur als solche fest.

Die in und aus den Staatsparteien bildeten sich das ein, hatten auch ihr Märchen, versprachen wohlig warme Worte wie „Sozialismus und internationale Solidarität“, ohne irgendeinen persönlichen Preis dafür zahlen zu wollen – und zogen sich in die sanften Polster der staatlichen Räume zurück. In der SED: „S‘kann Dir nix g‘schehn!“ hinter der Mauer mit Planperspektive mittelhohen Aufstiegs. In der westwestfälischen SPD, der staatlich und medial lizensierten Opposition, wo man auch wohlig warm gegen Schmerzen von oben gefeit war, gab es in Phrasen dasselbe, bei Einsparung eines gewissen leeren Pathos in „Wink-Elementen“ und Spruchbändern, dafür mit dem Begleitchor der Medien, die immer darauf achteten, dass das Wort von der „sozialen Gerechtigkeit“ unter ihrer Hegemonie gedieh.

Aber dann hat beiden, der SED und der SPD, die Wende gezeigt, wie vermeintlich ihre Karriereplanung und Wärmestube geblieben waren. Einige in der Sozialdemokratie wurden mit dem Zusammenbruch des schwedischen Sozialstaats vogelfrei, fortgeschleudert vom warmen Busen des Staats. Und die in der SED, in Acht und Bann und so gar nicht darauf vorbereitet. Aber es waren da auch die Mahner, Warner, die Widerborstigen, die mit dem Atem der Geschichte.

Und immer ahnten Leute wie Du, was gegen Streiks von den journalistischen Machtschattengewächsen feindselig ersonnen werden würde, wie sie alles dafür an feinsinnigem Gegeifer auf Euch niedergehn lassen würden, um Eure Basis wieder zur basisbetonten Streikbrecherei zu bewegen und von Euch abzuspalten; was man halt so tut mit Atomen, die anders organisiert sind.

Nichts ist gänzlich ohne Spekulation zu erreichen, auch nicht der Streik, nicht die Kollegin, nicht der Kollege, was denn größer sei: Ihre Angst, weiter wie ein Bündel herumgeworfen zu werden, oder ihre Angst davor, sich zu bündeln mit anderen, und dann doch gemeinsam von der Gewichtsschale gewischt zu werden, weil noch nicht schwer genug? Ein guter IG-Metaller muss solches prüfen, so abschmecken wie analysieren. Und nie auf die Schulung verzichten, im Sieg nicht und nicht in der Niederlage, dass nur ein Teilwert aus der Fabrikation zurückkommt als Lohn von dem, was nach oben gegeben wurde zum großen, allen Eindruck beherrschenden Reichtum? Solches Geschäft war Leuten wie Dir das elementare „vor Ort“.

Und nebenbei stellte sich bei Leuten wie Dir die Erkenntnis ein, dass alles in diesem System System hat, aufgezogen, um alles, was sozialdemokratisch, ökologisch, christlich, frei klingt, zu einer Facette zu machen des Staats. Erinnerst Du Dich Eurer Frechheit, beim Lohn beginnend, zur 35-Stunden-Woche zu kommen, zu 5 Stunden weniger Kapitalisierung?

Stets schrie in der Geschichte irgendwer mit viel Geld und Land: „L'état c‘est moi !“ – und andere kuschten. Die Verweigerung der Arbeitskraft, in ihrer organisiertesten Zuspitzung „Streik“ genannt, sind die bunten Farben, die selbstständig tanzen, oder Rebellisches wird als Grün, Rosarot, Schwarz, Gelb – wie weiland braun – nur als Facette der Kapitalmacht einverleibt. Und dann immer auch die, die in diesem Farbenspiel nur bedingt verfangen waren und mit denen Du zu tun hattest. Die mit dem ewigen Traum, dass es neben den Wirtschaftsmächtigen auch eine andre Macht und Kontrolle gäbe. Die nichts anderes sahen als den Staat, einen starken, freundlichen, also einen Sozialstaat. Und dessen Entsprechung: der demokratische Rechtsstaat! Denn der armen Sau, bevor sie zum Kohlhaas wird, ist es egal, ob das Gericht von einem SED-Bezirkssekretär oder einem hochdotierten Kapitalknecht eingeschüchtert worden war, sie wollte doch immer eins: eine unabhängige Rechtssprechung. Und auch das ist Erleben eines Gewerkschafters am eignen Leib.

Man sagt, Drachen flögen gegen den Wind. Wie viele dieser Wellensegler haben Leute wie Du schon aufsteigen sehen mit großem, mit pompös inszeniertem Widerwort. Und wie wenig ist geblieben. Von Fischer, Deinen Metall-Kollegen Riester und Hartz, von Schröder, dem Spieler, und Gabriel, der Bartsch schmeichelt, weil er sich von ihm die „Ost-PDS-LINKE“ als Manövriermasse erträumt. Und so begegnetest Du auch uns immer mit dem Misstrauen, auch wir könnten radikal inszenierte Wellensurfer mit hübschen Phrasen sein.
So kamst Du mit Deinem Häuflein zu unserem Häuflein und wir taten zusammen die Häuflein und hatten gegenüber einander hinter dem Rücken so unsere Vorbehalte. Und Du schimpftest zunächst auf ein paar in radikalen Strömungen wie Kommunistische Plattform u. ä., und sahst, gib's zu, auch in uns Leute, die den ohnehin schweren Zugang zu den real existierenden Arbeitenden, also zu den potenziell Streikenden, noch weiter erschweren würden, mit Maßstäben anderer Kontinente, und, vielleicht sahst Du uns wie Karl May: mit den unbeweisbaren Heldentaten aus fremden Kontinenten. Und wir hörten Dein Schimpfen auf uns und auf die Kungelkreise, die wir ja meist nur aus Angst vor den Zuträgern der Kapitalmedien gebildet hatten. Damit, mit der Tarifauseinandersetzung im Zentrum allen Denkens, wärest Du Gewerkschaftsführer geblieben, aber nie Parteiführer geworden. Aber wie schnell war doch Dein Lernen!? Und in wie großen Schritten gingst Du dann auf die Erfahrungen anderer zu, Leute mitnehmend, die Dein früheres Misstrauen geteilt hatten?!

Als wir unser Programm schrieben, warst Du geduldig. Milde unterbrachst Du ein ums andere Mal grundlose Verschärfungen, legtest Formulierungen aneinander, sie prüfend wie essbare Pilze. Und Heiterkeit brachtest Du mit in unsere Beratungen. Störrisch blieben wir allzumal, aber Du brachtest nicht noch dunkle Wolken hinzu. Es war gut, mit Dir zu arbeiten! Und zu erleben, wie sich einer nach vorne wandelt. Du warst kein Vorsitzender, als Du in diese Funktion hineingeworfen wurdest. Aber jetzt, wo sie Dich abschreiben als Vorsitzenden, bist Du es.

Du bist gewählt für zwei Jahre und Du hast diese genutzt. Irgendwie kanntest Du das ja schon vorher, die Schreibagenten der Arbeitgeber, mit ihren natürlichen Feinden: den Streikposten! Mit dem theatralisch inszenierten Wunsch der Konzernmedien nach mehr Freiheitsrechten für die Streikbrecher. Aber, wie sie sich dann mit Deinem Amtsantritt in Dich verbissen haben, das war selbst uns von neuer Qualität! Peter Hacks nannte sie einst Werwölfe des Kapitals, Bourdieu dessen trojanische Pferde.

Was die feindseligen Konzernmedien an Dir stört, ist, dass Du ohne künstliches Zutun als ein rebellischer Tribun gegen Bankenmacht wirbst.
In der Sonne lieb lächelt jeder einzelne Journalist mit Dir, um Dir den einen, den drehbaren Satz herauszulocken; aber dann, mit Dunkelheitseinbruch, in der Meute des Großraumbüros, folgen sie ihrer Grundprogrammierung, Kapitalkritiker mit diesem einen Satz zu skandalisieren, ja, alles in Stücke zu reißen, was Bankenmacht den Kampf ansagt, ihre Einstellung mit Jobantritt ist ihrer Einstellung für die Einsteller gleichbedeutend.

Gefüttert werden sie vom Kapital und von Leuten „aus unserem eigenen Laden“. Und beliefert von solchen, die der Staatsmacht nie widerstehen konnten, weil sie in ihnen wohnt, als wohlig warmer Busen der Herrschaft, an dem sie großgeworden.

Wir können nachvollziehen, wie Du Dich gefühlt haben magst, als die „nd“-Chefredaktion Dir kürzlich als Parteivorsitzendem die Veröffentlichung Deines Artikels abgesagt hat – und Dich dann im Reents-Kommentar angemacht hat (erstmalig in der Geschichte des „neuen deutschland“ – und des „Neuen Deutschland“ wohl auch!).

Für die Linke in Deutschland sollte ein Gewerkschafter etwas „Alltägliches“ sein, ist er aber nicht. Dass Politik im Interesse der Mehrheit gemacht wird, das war und ist Dein Ziel. Mit Dir zusammen wollen wir den harten Weg weiter gehen, lieber Klaus.
Erhalte uns und vor allem Dir Deine Heiterkeit.

Nun hast Du Oskar vorgeschlagen, mit dessen Namen und Persönlichkeit so viele Menschen Ermutigung erhoffen gegen den Bankenterror in und außerhalb der Parlamente.


Mit solidarischen Grüßen!

Dr. Diether Dehm

Wolfgang Gehrcke

Berlin, am 16. Mai 2012