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Kategorie: Positionen

Diether Dehm bezieht sich auf den Artikel von Elke Wittich, veröffentlicht am 26. Juni 2014 in der Jüdischen Allgemeinen.

 

Am 26.6. titelten Sie: "Mahnwachen ziehen Antisemiten an", setzten ein Foto von mir daneben und versuchten, darunter mein antifaschistisches Engagement zu relativieren im sattsam bekannten Spiegel-Stil: "von oben herab" und ex catedra.

 

Mainstreammedien, bei ihrer Klientel in einer Art Monopolstellung, wähnen sich zumeist auch in der Nähe bestehender Staatsmacht. Zu einheimischen Polizeieinsätzen heißt es dann: "Die Polizei musste Tränengas und Gummiknüppel einsetzen". Im Falle Russland oder Venezuela würde hingegen geschrieben: "die Polizei setzte ... ein". Das Suggestivwort "musste" ist dabei keiner Aufklärung geschuldet, sondern der Herrschaftsandienung – einem Kriterium bei Einstellung von Journalisten. Am Ende muss kein Vorwurf mehr belegt werden, nichts mehr logisch begründet, es wird auf die rudelhafte Redundanz der Jagdmeute gebaut und den durch sie beim Leser konditionierten Pawlowschen Reflex.

 

Ähnlich lief dort auch die Berichterstattung über die Massenmorde durch ukrainische Faschisten in Odessa, wo "Prorussinnen" (darunter Schwangere nach ihrer Vergewaltigung) mit Benzin übergegossen und verbrannt wurden; (www.weltnetz.tv, das ich mit Konstantin Wecker, Albrecht Müller u. a. betreibe, Hinter den Schlagzeilen, Nachdenkseiten gehörten zu den wenigen Internetforen, die darüber "in echt" berichteten, während staatsnahe Zeitschriften von "tragischen Vorfällen" und Erstickungstoten schwadronierten.)

 

Und eben diese antirussische Mordspropaganda, bei der die CIA/BND-gestützte Pofitiergier aufs ukrainische Schiefergas durchschimmert, war es, die die Montagsmahnwachen auf den Plan rief. Welche dann wieder die Kriegspropaganda störten. Und von ihr niedergemacht und "Querfront" genannt wurden (eigentlich ein Fake-Wort, da fast jede Menschenansammlung zu Fußball-, Musik- oder Politikzwecken, statistisch gesehen, "Querfront" ist). Dabei entstand eine Medien-"Querfront" aus FAZ, BILD, Spiegel-online, SZ, Zürcher Zeitung, konkret, jungleworld, Jüdische Allgemeine und taz. Aber – im Unterschied zu den ersten NATO-Raketen auf Bagdad, für die diese "Querfront" schon mal geworben hatte – fügte sich diesmal sogar die Kaderorganisation Marzx21 mit trotzkistischem Hintergrund ein, die zwar die Berliner Mahnwachen für "rechts", aber den naziverseuchten Maidan und die taliban-affine syrische Auslandsopposition bis heute für authentische Volkserhebungen verklärt.

 

Dieselben, die NATO-Bomben gegen Gaddafi gefordert hatten, weil der "sein Volk" zuvor bombardiert haben soll, befeuerten nun die ukrainische Nazi-Putsch-Regierung (deren Swoboda-Partei ihre Hochschule bis vor wenigen Tagen noch nach Joseph Goebbels benannt hatte), die angeblichen "Separatisten" in der Ost-Ukraine, also "ihr" Volk, doch bitteschön endlich zu bombardieren. Aber auch das Schweigen des "Zentralrats der Juden" in Deutschland war dröhnend laut: zu den Nazis in der Ukraine und deren brutalen Übergriffen (auf Juden wie Rabbi Hillel Cohen, auf Holocaust-Gedenktage, Schändung und Zerstörung von Holocaust-Mahnmalen in Odessa, Kirovohrads, Oleksandriya, Donezk usw.). Sogar die rechtsliberale DIE ZEIT rügte Graumanns "Zurückhaltung", geht es doch sonst gar nicht schnell genug mit dem "Antisemitismus"-Vorwurf, z. B. wenn Linke Netanyahus "Vergeltungs-Luftschläge" kritisieren. Oder eben bei den Mahnwachen.

 

Nur: Wo jeder und jedes gleich leicht "antisemitisch" wird, verharmlost das den eigentlichen Vorwurf. Und: Wo jeder gleich leicht zu "Hitler II" avanciert (z. B. bei BILD: Saddam, Gaddafi, Assad, Putin und andre "Staatsschurken"), wo jedes bisschen Homophobie oder Sexismus oder Chauvinismus oder Esoterik oder Verschwörungsplattitude mit Faschismus gleichgesetzt wird, ist letzterer allzu bald inflationiert, verniedlicht.

 

Der US-Autor Tom Wolfe ("Fegefeuer der Eitelkeiten") ruft seit Jahrzehnten jenen einstlinken Neo-Eliten höhnisch die Bigotterie einer "zur Norm erstarrten Rebellion ... aus Sex, Drugs and Political Correctness" hinterher. Und weil die incorrect terms besonders im "bildungsfernen" Unten gedeihen, sprach Michael Chevalier in den Blättern von der "Unbarmherzigkeit der aufgeklärten Menschen", einst, als er die neuen Grünen & Reichen und deren Medienschickeria noch nicht kennen konnte. Und so haben wir es jetzt also mit einem gleichsam plebejischen Protest zu tun, nicht nur gegen Kriegspropaganda selbst. Es ist auch als praktische Kritik zu verstehen an einer Linken, die statt Bewegung gegen Krieg & TTIP lieber ihr "Stillgestanden!" in political-correctness-Appellen sucht, welche sich wohlfeil gegenseitig inflationierend überbieten. Was Wunder, dass sich AfD-und andere rechte Demagogen daran erstmal versuchen? Zumal sich Linke nur snobistisch abwenden und andere selbsternannte Aufklärungsavantgardisten aus der Ferne darüber schreiben, sich über das "Nicht-Korrekte" erheben, anstatt hinzugehen und live darauf einzuwirken.

 

Und in diesem Geist zitieren Sie die Studie der TU. Und kommen zu der erstaunlichen Überschrift: "Mahnwachen ziehen Antisemiten an". Nur: Dann könnte am Ende nahezu jegliche Menschenansammlung unter freiem Himmel "Antisemiten" anziehen. Denn die von ihnen angeführte TU-Studie sieht bei den Berliner Mahnwachen nur einen Anteil von 1,4 % klaren Antisemiten. Was deutlich unter dem deutschen Durchschnitt liegt! Und 95 % der befragten MahnwacherInnen sagen ein klares "Nein" auf die Frage, ob Juden einen besonderen Einfluss hätten. Solch entscheidende Details, nebst den Umfragetabellen, verschweigen Sie, aber extrahieren Worte aus dem Zusammenhang und manipulieren somit die Gesamtwertung der Berliner Montagsmahnwache.

 

Nach dem "Auftrittsverbot für Elsässer" zitieren Sie die Halbwahrheit, die Erfurter Mahnwache habe den Trennungsstrich nach rechts nicht gezogen. Das stimmt soweit. Aber Ihr Hinweis, diese Entscheidung sei "mit Billigung von Lars Mährholz" (dem Berliner Koordinator, also dort, wo ich auftrat) getroffen worden, soll zwar die Berliner diskreditieren, wird von Ihnen aber ohne Beleg belassen – offensichtlich, weil es keinen gibt.
Und so schreiben Sie über meinen Auftritt bei den Montagsmahnwachen: "wie Dehms 'solidarische Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen' ... aussieht, führte Dehm vor, als er bei der Berliner Kundgebung auftrat und Brechts 'Ballade von der Judenhure Marie Sanders' vortrug."

 

Kein Wort mehr. Soll sich doch jeder zusammenreimen, was "so eine Judenhure" (des vielleicht in Ihren Augen auch "strukturell antisemitischen" Kommunisten Bertolt Brecht) sein möge. Und unbedachtere Leser könnten sogar meinen, Jüdinnen würden da als Huren bezeichnet. Sie überlassen es dem nebulösen Antippen von LeserInnenphantasie.....

 

Aber auch Rezipienten, die von Brecht wissen, dass er die "Ballade von der Judenhure" gegen die Nürnberger Reichsrassengesetze 1935 geschrieben hatte, werden von Ihnen nicht mit Zusatzwissen bereichert. Nämlich, dass ich auf der Montagsmahnwache zusätzlich Ausführungen gegen Antisemitismus und andere rassistische Sündenbockerei (besonders zu Krisenzeiten) gemacht und auch erwähnt hatte, dass die seit 1933 in vorauseilendem Gehorsam total "arisierte" Deutsche Bank (z. B. mit der Finanzierung von Auschwitz und Zyklon-B-Profiten) noch schlimmerer Verbrechen schuldig sei, als die FED oder Goldman-Sachs, deren Macht ich allerdings auch bekämpfe, ob da Juden Einfluss haben oder nicht.
(Sie hätten sich und sogar Ihren Lesern ein eigenes Bild erlauben können z. B. via link-Angabe zu meinem Auftritt am Pfingstmontag in Berlin, bzw. meiner Bundestagsrede vom 25. Juni zum Thema, bzw. aus der 33. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 8. Mai 2014.)

 

Aber Ihre Weglassungen sind Ihr Metier: So schreiben Sie, "mit Diether Dehm und Andrej Hunko" plädierten ganze zwei Bundestagsabgeordnete gegen die Dämonisierung der Montagsmahnwachen. Da Ihnen beide "Plädoyers" vorlagen, mussten Sie aber doch wissen, dass es neben diesen beiden Unterzeichnern noch mehr MdBs (z. B. Wolfgang Gehrcke, Sabine Leidig, Heike Hänsel) waren. Ebenso verschweigen Sie, dass die Friedens-Kooperative, Sitz Bonn (mit 60 Friedensorganisationen!) jüngst angeraten hat, die Kooperation mit den Montagsmahnwachen vor Ort selektiv zu suchen (was ich tat), und dass uns bedeutende Kulturschaffende darin ermutigt haben; zum Beispiel Konstantin Wecker: "Die Art und Weise, wie gegen antifaschistische Freunde von mir, wie Pedram, Prinz Chaos und Diether Dehm vom Leder gezogen wurde, war unterste Schublade menschlicher Ignoranz ..."

 

Der Berliner Mahn-Koordinator Lars Mährholz wurde bei Ihnen zum "Profi-Fallschirmspringer" (mit welchem Aussagewert?). Und zu mir schreiben Sie: "Dehm, ein früherer Schlagersänger", was ich nie war. ("Schlager", wie "1000 mal berührt", "Faust auf Faust", "Was wollen wir trinken sieben Tage lang" u. a. habe ich für andere Sänger geschrieben.) Hätten Sie nicht wenigstens aus meiner Biographie abschreiben können, dass ich seit meinem 15. Lebensjahr in der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" aktiv bin, "Rock gegen Rechts" 1979 und das Frankfurter "Römerberg-Bündnis" gegen Nazis mitgegründet habe (unter anderem mit Jutta Ditfurth)?
Nehmen wir so zum Beispiel den Vorwurf im taz-Titel vom 23.6. "Montags-Mahnwachen – offen für Esoterik". Das ist so realistisch wie tautologisch. In jedem Großraumbüro oder bei jeder Geburtstagsfeier ist sicherlich irgendeine KnallköpfIn zu finden, die den Glauben kundtut, Sternbilder bestimmten ihr Tagesgeschehen oder gar ihre Zukunft. Und so sind halt auch Friedenskundgebungen "offen für Esoterik".

 

Ähnlicher Pleonasmus findet sich im Vorwurf des Freitag vom 17.6., auf den Mahnwachen gebe es „verkürzte Systemkritik“. Ja, was denn? Wenn das, was der Freitag, Sie oder ich für "verkürzte Kritik" halten, zum Kriterium würde, bei Montagsdemos oder sonstwo nicht mehr auftreten zu dürfen, dann dürfte wohl kein Journalist bei seiner Redaktionskonferenz mehr sprechen und ich bei keinem Parteitag. Weil: verkürzte Kritik everywhere!

 

Oder nehmen wir Ihren Vorwurf, bei den Mahnwachen gebe es auch "Verschwörungstheoretiker". Ich, zum Beispiel, vertrete die Theorie, die Verschwörungsvereinigung namens "Harzburger Front" (die aus profaschistischen Rüstungskapitalisten u. a. bestand) hätte ihren berüchtigten Brief an Hindenburg, Hitler jetzt sofort zum Reichskanzler zu ernennen, ausgerechnet dann abgeschickt, als die Nazis bei den Novemberwahlen 1932 1,2 Millionen Stimmen – größtenteils nach links – verloren hatten. Also bin ich natürlich Verschwörungstheoretiker, weil ich für diese Verschwörung eine Theorie habe.

 

Und nun betrete ich noch verminteres Gebiet, aber schließlich rät Uri Avneri dazu, Juden so scharf wie Nicht-Juden zu kritisieren. Bei den Mahnwachen, behaupten Sie, würden doch tatsächlich Leute sagen, Zionisten/Juden hätten Einfluss auf Kapital und Politik. (Das entsprechende Umfrageergebnis der TU-Studie heben Sie ja geradezu triumphierend nach oben!) Ich habe bei der Montagsdemo scharf dagegen gesprochen. Aber manche glauben offenbar, dies einzig mit der Behauptung kontern zu können, unter Zionisten habe "niemand die Absicht, einen Einfluss aufzubauen". Und das mit der Drohgebärde bewehrt, solcherlei Zionismusattribute würden automatisch zu Antisemitismus – und dagegen brauche, weil tabuisiert, gar nicht mehr argumentiert zu werden. Diese Machtattitude meidet das, was kritisches Denken genannt wird. Und, je brachialer die Tabuzone "Zionistenkritik" auch noch vermint wird, desto mehr bestätigt dies jenes Vorurteil – unfreiwillig zwar, aber darum effizient – das es aus der Welt zu schaffen sucht. (Die SED-Führung verwies bei Sowjetkritik oft nur auf die durch Hitler ermordeten 27 Millionen Sowjetmenschen. Auch dies Ritual war nicht überall und ewig erfolgreich.)

 

Der Umgang Ihres Artikels mit der Untersuchung der TU über die Teilnehmer der Montags-Mahnwachen ist liederlich. So verschweigen Sie, dass dort 42 % die Linke, ein knappes Drittel gar nicht und ein weiteres Drittel Piraten, Grüne und AfD wählen – also fast 100 % Parteien, die im Radius des Grundgesetzes agieren mit unterdurchschnittlicher Anfälligkeit für rechte Deutungsmuster und Rassismus. (Genau das zeigte mir auch der besondere Beifall vor Ort bei den antifaschistischen Liedern.)
Über den Tatbestand so geringer rechter Einflussschneisen bei der Berliner Friedensdemo hudelt auch Frau Ditfurth, die Sie so ins Herz schließen, hinweg, indem sie auch die Friedensdemo 1981 mit Rassismus-light-Vorwürfen überzieht: Ditfurth beschimpft nämlich jetzt sogar die Friedensbewegung der Achtziger als "deutschnational", mit der Begründung der Parole "Keine Atomraketen auf DEUTSCHEM Boden!" (Wohlbemerkt: Hier hatte eine bundesdeutsche Regierung einer US-Regierung diese Stationierung hierzulande erlaubt.).

 

Es könnte doch sein, dass latente und für Antisemitismus anfällige Deutungsmuster in den europäischen Bevölkerungen viel verbreiteter sind, als bei den Teilnehmern der Montagswachen. Und selbst, wenn der eine oder andere Wirrkopf mehr bei der Berliner Mahnwache gewesen sein sollte, als statistisch in der TU-Studie verzeichnet, wäre das dann nicht der eine oder andere Grund mehr, dort hinzugehen? Und für das zu werben, was man selbst für Entwirrung hält: betreffend Antisemitismus und die Shoa? Sowie betreffend Antikommunismus und die 27 Millionen bis 1945 ermordeten Sowjetmenschen? Ich zum Beispiel bin für ein NPD-Verbot, würde aber ebenso energisch gegen ein Verbot der AfD eintreten. Und deswegen werde ich prinzipiell nur dort fernbleiben, wo Nazis die Fäden ziehen. Aber ich werde auch künftig dort am Streit der Argumente teilnehmen, wo er mit dem Grundgesetz korrespondiert. Selbst wenn im Publikum der eine oder andre Sexist oder Verschwörungstheoretiker o. ä. ist.

 

Vieles von der "assoziativen Shitstorm-Methode" ("der kennt jemand, der jemand kennt und der ist ein übler sexistischer Esoteriker und da darf man sich darum nicht blicken lassen") soll jede Form antiimperialistischer Bewegung einschüchtern. "Stillgestanden – nicht bewegen!" Und – dazu passend – die Versuche, sämtliche Informationen gegen die Faschisten in der ukrainischen Regierung als prorussisch-nationalistisch zu diskreditieren, sollen den kleinen antiimperialistischen Aufklärungsradius ganz auf Null stellen!

 

Ich habe bei der Montagsmahnwache am Brandenburger Tor einen einzigen Nazi erlebt. Der rannte nach meinen Liedern wütend auf mich los, bezichtigte die Veranstalter und mich der "Judenpropaganda", wurde von einem anderen Veranstalter mit "Hau ab und bleib weg" verabschiedet, mailte mir am Tag drauf einen von 17 Drohbriefen von Rechten, die mich auf youtube gesehen hatten, worauf ich Strafanzeige gegen ihn stellte. Kein ganz schlechter Erfolg von Aufklärung!

 

Wäre ihr Beitrag journalistisch seriöser und nicht derart propagandistisch gewesen, ich ersparte Ihnen abschließenden Rat: Man trennt nicht dadurch Spreu vom Weizen, dass man beides auf einen Müllhaufen kippt.