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Kategorie: Fragen zur linken Hegemoniearbeit

Alle Tricks und Kniffe halfen nicht: Nur wenige Tage hielt sich die konservative Regierung von Pedro Passos Coelho im Amt. Ihr Sturz war angesichts des Wahlergebnisses in Portugal Anfang Oktober überfällig. Nach Jahren einer rigiden Sparpolitik hatten linke Parteien eine Mehrheit im Parlament. Sozialisten, Kommunisten und Linksblock lehnten in der vergangenen Woche eine Neuauflage des Sparprogramms ab, einigten sich auf ein gemeinsames Regierungsprogramm und stürzten Passos Coelho per Misstrauensvotum. Seither deuten die Zeichen in Lissabon nach links.

 

Glaubt man jedoch den Kommentaren der vergangenen Woche hierzulande, so müssen die Portugiesen nun fürchten, dass die verantwortungslosen Lotter-Linken die schönen Erfolge der finanziellen Anpassungsprogramme im „Krisenland“ Portugal zunichtemachen und das portugiesische Volk wieder in einen Abwärtsstrudel stürzen. Und dies, da die abgewählte portugiesische Regierung die Austeritätsmaßnahmen der Troika aus Kommission, EZB und IWF doch so mustergültig umgesetzt hat. Nicht nur mustergültig – sondern sogar übererfüllt! Denn kaum eine Woche nach seinem Amtsantritt vor vier Jahren hatte Passos Coelho angekündigt, dass seine Regierung im Gegenzug für das 78 Milliarden Euro schwere „Hilfspaket“ die verlangten Maßnahmen „peinlich genau“ einhalten werde und mit zusätzlichen „strukturellen Maßnahmen“ sicherstellen wolle, dass die gesetzten Ziele noch vor dem Zeitplan erreicht würden.

 

Organisierte Verarmung weiter Bevölkerungsschichten

Was sprachlich so harmlos als „Maßnahme“ daherkommt, bedeutete auch für das portugiesische Volk die staatlich organisierte Verarmung weiter Bevölkerungsschichten, um das von der Troika erhaltene Geld für die Bankenrettung bei ihnen wieder einzutreiben. Dazu wurden Renten und Gehälter gekürzt, Staatseigentum privatisiert und Steuern angehoben, der Arbeitsmarkt „flexibilisiert“ und das Arbeitslosengeld gekürzt. Die portugiesische Regierung legte sich noch drastischere Sparmaßnahmen auf, als im Gegenzug für das Rettungspaket von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) gefordert wurden.

 

Dementsprechend sieht die Lage in Portugal heute aus: Die Löhne sind im Zuge der Austeritätspolitik im Schnitt um 20 Prozent gesunken, circa ein Fünftel der portugiesischen Erwerbstätigen muss mit dem gesenkten Mindestlohn von 505 Euro über den Monat kommen. Jedes dritte portugiesische Kind lebt in Armut, in einem Volk von 10 Millionen ist eine Million arbeitslos, die junge und gut ausgebildete Generation hat mittlerweile aus Mangel an Perspektive das Land verlassen müssen (ca. 500.000 Menschen), über eine Million Rentner müssen von weniger als 10 Euro am Tag leben (dies schließt die Miete mit ein!). Durch einen Einstellungsstopp der zu 90 Prozent in öffentlichen Gesundheitszentren beschäftigten Ärzteschaft einerseits und Zwangsvorruhestand für ältere Ärzte andererseits herrscht mittlerweile massiver Ärztemangel, vor allem in ländlichen Gebieten fahren die Menschen teilweise weit über 50 Kilometer bis zum nächsten Arzt. Im Pflegebereich hat diese Einstellungs- und Frühverrentungspolitik zu einem strukturellen Mangel von rund 20.000 fehlenden Krankenpflegern geführt. Die, die noch Arbeit haben, müssen mit 20 Prozent weniger Gehalt und einer erhöhten Wochenarbeitszeit von 50 Stunden leben. Der portugiesische Präsident des katholischen Hilfswerks Caritas, Eugenio Fonseca, sagte erst vor wenigen Wochen, dass die Krise im Land noch längst nicht vorbei sei. Die Hilfsanträge Bedürftiger nähmen unentwegt zu und der Anteil von Menschen mit Armutsrisiko sei im vergangenen Jahr in Portugal sogar stärker angestiegen, als in Griechenland.

 

Weder den Portugiesen noch dem Staat geht es besser

Schaut man also auf das Ergebnis der finanziellen Anpassungsprogramme und Kürzungsmaßnahmen, stellt man fest, dass es weder den Portugiesen noch dem portugiesischen Staat besser geht. Genau genommen ist Portugal nicht weniger bankrott als Griechenland, allerdings bezogen auf die Gesamtverschuldung. Diese liegt mit 381 Prozent deutlich über der Griechenlands (286 Prozent). Hat Griechenland überwiegend ein Staatsschuldenproblem, so leidet Portugal unter zu hohen Schulden in allen drei Sektoren, dem Staat, den Unternehmen und den privaten Haushalten.

 

Angesichts dieser Lage und solch bedrückender Zahlen ist es einfach nur geschmacklos, wenn einige Austeritäts-Ideologen wie Elmar Brok in ihren gepolsterten Brüsseler oder Berliner Sesseln davon schwätzen, dass „...auch eine neue Regierung unter Führung der Sozialisten schnell lernen [dürfte], was auch die Syriza-Regierung in Griechenland irgendwann begriffen hatte: Es ist besser, Reformen durchzuführen und mit Brüssel zusammenzuarbeiten, als sich in Europa zu isolieren und den Sparkurs aufzugeben.“

 

Die Portugiesen scheinen da allerdings dezidiert anderer Auffassung zu sein und verhalfen dem Anti-Austeritätsbündnis zur Mehrheit. Offen bleibt im Moment noch, ob die Sozialisten um Costa und das sie tragende Bündnis aus Kommunisten und Linksblock überhaupt den Regierungsauftrag vom bald scheidenden Staatspräsidenten Cavaco Silva erhalten werden. Nicht nur, dass dieser den Konservativen trotz fehlender Mehrheit den Auftrag zur Bildung einer Regierung gab, nein, er begründete diesen Schritt allen Ernstes auch noch mit der Rücksichtnahme auf Europäische Union und Euro, „Finanzinstitutionen, Investoren und die Märkte“. Der erfolgreich eingeschlagene Pfad solle fortgeführt werden. Laut portugiesischer Verfassung hätte er, um den demokratischen Politikwechsel zu verhindern, jetzt noch die Möglichkeit, für das kommende Jahr Neuwahlen anzusetzen.

 

Linke Alternativen zur marktkonformen Bankenrettungspolitik

Mit Blick auf die anstehenden Parlamentswahlen in Spanien Ende Dezember macht das Ergebnis in Portugal jedoch Mut – wenn auch im dritten Euro-Land eine linke Mehrheit aus den Wahlen hervorgeht, ist vielleicht langsam der Punkt erreicht, an dem die neoliberalen Hardliner in Brüssel und diversen europäischen Hauptstädten Alternativen zur marktkonformen Bankenrettungspolitik nicht länger verhindern können. Syriza hat an dieser Tür gerüttelt, Portugal sie ein klein wenig aufgestoßen – vielleicht können die Menschen Europas dank Spanien dann endlich durch sie hindurchtreten.

 

Diether Dehm, wöchentliche Kolumne auf der Seite der Fraktion DIE LINKE