online Diskussion: Herrschaft der Angst

Es diskutieren:

Norman Paech (Völkerrechtler, Hamburg)

Diether Dehm (MdB, Theatermacher und Heilpädagoge)

Moderation: Hannes Hofbauer (Herausgeber)

Die Machtausübung unserer Tage basiert auf mehreren Säulen. Noch immer scheint jene Definition zu gelten, mit der Antonio Gramsci vor bald 100 Jahren den (bürgerlichen) Staat beschrieb: „Hegemonie, gepanzert mit Zwang“. Die jeweiligen Regierenden erkaufen die Akzeptanz zu ihrer Politik mit materiellen Zugeständnissen – so dies ökonomisch möglich ist. Parallel dazu betreiben sie eine Herrschaftstechnik, die – im Angesicht der sogenannten Corona-Krise – immer offener zutage tritt: die Erzeugung von Angst. Dies ermöglicht dem Staat stärkere Befugnisse und lenkt die Aufmerksamkeit der Menschen auf das jeweilige Drohszenario.

Herrschaft der Angst 400„Lockdown mit Augenmaß“ statt eines staatsmonopolkapitalistischen Panikorchesters

"Gegenwärtig dominieren zwei große Angstmacher: Die einen schüren die Angst vor Viren und die anderen die vor einer Diktatur. Jene Angst Numero 3 aber, wohl die realistischste, die vor dem ökonomischen Absturz, kommt unter die Räder der beiden anderen. Denn diese Angst, die der „finanziell Schwachen“, wird selten bewusst artikuliert. So, wie Verängstigte Aggressionen auf Migranten projizieren können, deuten Krisenbedrohte entweder auf „Corona-Sheriffs“ oder auf „Corona-Leugner“ als vermeintliche Ursachen, mischt sich ihre Angst größeren Medienparolen unter, bedient sich also der Chiffres der selbstbewussteren Angstmacher von den Grünen bis zur AfD. Die herrschende Angst ist die Angst der Herrschenden und deutet angstmachend auf den Niedergang von „Märkten“: von Arbeitsmarkt, Finanzmarkt, Binnenmarkt usw. So wird aus der „normalen“ Angst des Marktregimes die Panik in der Krise. Und eine „Chance“ – für die mit den wachsenden Werten, speziell im Aktien- und Immobilienportfolio.

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Die Art, wie Menschengruppen das zu ihrem Leben Nötige erwirtschaften, bestimmt ihre Art, mit herrschenden Ängsten umzugehen. Je billiger die Handgriffe und je verworfener die Arbeit in einem Bereich der Gesellschaft, desto größer ist hier die Angst vor Widerspruch. Das Regieren wird dort bequemer, die Herrschaft unangefochtener. Und es steigt dort die Bereitschaft, Losungen zu schlucken und wiederzukäuen, welche unter dem Regime von Unsicherheit und Krisenangst von oben kommen, kritische Fragen herunterschluckend und alternative Auslegungen von Zahlenmaterial ignorierend, wenn diese nicht in die vermeintlich „richtige“ Richtung weisen.

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Paradoxerweise legen die Regierungsnahen aber die jeweiligen Zahlen selbstgefällig einzig zugunsten ihrer Krisenstrategie aus, nicht zugunsten der vorhandenen Immunkräfte. Ihre Verlautbarungen müssten sich ansonsten vorwiegend mit den infizierten Nichterkrankten befassen, um aus deren psychosomatischen Dispositionen exemplarische Vorschläge für den Ausbau von Gesundheit und Immunfaktoren zu entwickeln. Stattdessen wird bevorzugt, was Angst macht, und zwar nicht nur die „stille Infektionsweitergabe“, die jüngeren Nichterkrankten ein schlechtes Gewissen macht (mittlerweile ist klar, dass die meisten Ansteckungen erst nach Auftreten der Symptome erfolgen und dass asymptomatisch Infizierte Corona nur selten übertragen).

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Es mag einem Gesundheitsminister ein unlösbares Rätsel sein, warum Menschen über 80 sterben, aber spezifische Fragen nach dem erfreulichen Teil der Krankheitsverläufe stellt er erst gar nicht. Anstatt angstproduzierende Szenarien aufzurufen wäre nämlich dann die Frage unvermeidbar: Was kann eine Gesellschaft tun, um die psychosomatischen Dispositionen und Immunsysteme ihrer Schichten und Klassen dauerhaft, von Kindesbeinen an, und/oder akut zu verbessern? Was muss dazu in Fabriken und Büros verändert werden?

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Warum zum Beispiel werden gesellschaftliche Einflüsse durch zu späten Renteneintritt, durch zu lange Arbeitszeiten, durch zermürbende und demütigende Prozesse nicht angegangen, die die Immunkräfte für diese oder kommende Epidemien ver- oder zerstören können? Warum wird so wenig darüber gesprochen, wie Kultur, Lust und Lebensfreude – vom Zwischenmenschlichen bis zum Theater – das Immunsystem verbessern können? Und was Quarantänen immunkräftemindernd hier anzurichten vermögen? Warum wird die mehrheitlich positive Seite der Krankheitsgeschehen nicht herangezogen, um akribisch zu erforschen, wie ein Immunsystem idealiter beschaffen sein sollte, das Pathogene gar nicht erst andocken lässt oder dann in den Griff bekommt? Und was durch konzentrische Gesellschaftsveränderung hier zu steigern wäre, damit Krankheitsverläufe abgemildert und (selbst im höheren Alter) Organschäden und Letalität vermindert werden können? Nur ein unpolitischer Begriff von Politik überlässt diese Antworten den Virologen.

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Früher sprachen Linke von einer demokratisch revolutionären Überwindung gesundheitsgeißelnder Kapitalfaktoren. Das ist aus der Mode gekommen. Aber alle grundsätzlichen Fragen zum Immunsystem und damit zu Krankheitsverläufen deuten gerade auf die Verschärfung sozialistischer Befunde, wie sie früher von der Marburger Schule um den Mediziner Uli Deppe etc. formuliert wurden. Stattdessen ploppt heute ein neues Modewort auf die Displays (a)sozialer Medien: „The Great Reset“ von Klaus Schwab, dem Chef des World Economic Forum. Wer sich mit Schwabs globalen Neuanfangsplänen befasst, wird feststellen, dass dort neben sozialistisch intonierten auch „internationalsozialistische“ Einsprengsel stehen: Anrufung einer neuen Weltelite – antivölkisch zwar, aber in keiner Weise antifaschistisch. Schwab lädt jetzt das WEF, anstatt wie bislang nach Davos nach Singapur ein – 2021, aber „1984“ von George Orwell steht Pate. Schaukeln sich jetzt die „Panikmache der Systemlinge“ vor neuen Viren und die „Panikmache von Querdenkern“ vor dem „Reset“ gegenseitig hoch? Wenn die Linke nicht bald mit einem populären Gegenprogramm dazwischen geht, welches sozialmedizinische Stärkung der Immunsysteme und Sonderabgaben von Krisengewinnern schlau zur Gegenfront verbindet, wird das Feld den Angstmachern kampflos überlassen.

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Die Lockdowns kannten kaum Augenmaß, stattdessen kam die undemokratische, bürokratische Brechstange zum Einsatz, verbundenen mit Schäden an Gesundheit, Sozialstaat, Arbeitsplätzen, Löhnen, mittelständischer Wirtschaftskraft, Bildung und Kultur. Dies ist in allererster Linie Folge von voraussehbaren, vermeidbaren Problemen wie Personalmangel und Lohndefiziten im Gesundheitswesen. Auch an begleitenden Maßnahmen zum konsequenten Schutz vulnerabler Gruppen – wie etwa in Tübingen erfolgreich vorgelebt – oder Informations- und Unterstützungskampagnen zur Stärkung der körpereigenen Immunabwehr mangelt es; Impfungen und Lockdowns bleiben der Hauptschwerpunkt der staatlichen Coronastrategie. Gesellschaftliche Ressourcen in Form von wirtschaftlichen Hilfspaketen sind – wie bereits seit der Finanzkrise 2008 – auch jetzt zunehmend den Superreichen mit den „bleibenden Werten“ zugeflossen und sind damit der sozialen Sorgfalt entzogen. Transnational agierendes Monopolkapital wurde noch mächtiger und bedrohlicher, demokratische Mehrheiten dagegen deutlich eingeschüchtert. Die Schuld dafür tragen überwiegend die Regierenden. Diese haben darum endlich eine scharfe, kenntnisreich fragende, populäre und mutmachende Opposition verdient!"

Auszug aus meinem Beitrag zum sehr empfehlenswerten, neu erschienen Buch "Herrschaft der Angst".

Mit Beiträgen von Wolf Wetzel, Marlene Streeruwitz, Moshe Zuckermann, Norman Paech, Rainer Fischbach, Birgit Sauer, Farid Hafez, Michael Meyen, Diether Dehm, Joachim Hirsch, Maria Wölflingseder, Imad Mustafa, Dieter Reinisch, Karl Reitter und Christian Schubert.

 

ISBN: 978-3-85371-488-1.

Kategorie: Politik und Ökonomie.

Hofbauer, Hannes / Kraft, Stefan: Herrschaft der Angst.

Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand

Promedia 2021.

320 S. 14,8 x 21.

Print: € 22,00. ISBN: 978-3-85371-488-1.

E-Book: € 17,99. ISBN: 978-3-85371-890-2.

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