Liebe Genossinnen und Genossen,
zum Jahresende und vor den von unseren religiösen Genossinnen besonders begangenen Feiertagen wünsche ich Euch Wärme und Geborgenheit, also Zeit zum Luftholen und Nachdenken, um in dieser trendwendenden Zeit solidarisch und radikal die uns umgebenden Machtverhältisse in 2019 neu angehen zu können.
Unsere "strömungsübergreifende Delegationsreise" bis zur letzten Woche hat uns (ebenfalls strömungsübergreifend) zuweilen – besonders in Hebron - fassungslos gemacht. Noch kostet die israelische Regierung ihre Staatsmacht aus. Aber sie schürt einen Zorn, der einst schlimm enden kann, wenn nicht in die Eskalationsspirale des terroraufladenden Hasses eingegriffen wird.
So will ich, nun erst recht, bei den rechtlosen Schwächeren, bei den Kindern stehen, die da in gewollter Perspektivlosigkeit auf den ihnen erlaubten, toten Straßen mit auch jenen Steinen spielen, die aus Siedlerwachtürmen auf sie geworfen wurden und werden. Derart werde ich am "Heiligen" Abend an Palästina denken!
Lasst uns – aufstehend oder ungeteilt widersetzend - auch im neuen Jahr den herrschenden Lügen mit neuer Kraft entgegentreten!
Mit sozialistischen weil herzlichen Grüßen
Diether
P.S.
Nachdem ich mich im Landesausschuss am Samstag bei der SDS-Debatte freundlich-kritisch gegen zwei enge Mitstreiter, aber entschieden pro Rudi Dutschke ausgesprochen hatte, haben zwei Genossinnen verwundert gefragt, ob ich tatsächlich mit ihm etwas zu tun gehabt hätte. Ich habe dazu nun das lesenswerte Buch von Detlef Siegfried, "Time Is on My Side" – Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre; (3. um ein Nachwort ergänzte Auflage 2017; Wallstein Verlag) rausgekramt. Ja, das ist nun über 50 Jahre her und selbst die Mitmacher auf dem Foto sind jetzt fast 80. Gerne komme ich dazu in Kreisverbände zur Diskussion, die vielleicht doch aktueller bleibt, als ich bis Samstag angenommen hatte. (Lustig: schon mit 17 wurde ich als "enfant terrible" bezeichnet.)
Bei der Erstürmung einer Podiumsdiskussion zum Vietnamkrieg, die am 6. September 1967 im Amerikahaus stattfinden sollte, fand sich auf der gekaperten Bühne in trauter Eintracht und unter Abgesang der Internationale eine bunte Reihe von Personen wieder, die als Gesamtensemble präzise die Avantgarde der politischen Lifestyle-Revolution am Anfang der 'wunderbaren Jahre' repräsentierte. Nach dem Rapport des Kriminalobermeisters B., der seine Pappenheimer kannte, waren anwesend: Rudi Dutschke, Hans-Jürgen Krahl, Frank und Karl Dietrich Wolff vom SDS, Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann und Rainer Langhans von der Kommune 1, Dieter Dehm vom SDS-Schülerbund […] (S. 420)
Der 1950 geborene Dieter Dehm (>Lerryn<), Frankfurter Jungliterat und Ostermarschierer, der im Sommer 1968 Mitglied des Politkomitees des AUSS wurde, bereits einige Monate zuvor von Rolf-Ulrich Kaiser als Nachwuchsbarde entdeckt worden war und künftig mit politischen Liedern auftrat, bewegte sich 1967 im Umfeld der Provos, publizierte in Peng und verteidigte die Langhaarigen gegen Anwürfe aus dem SDS:
"Mag man die letzten Aktionen der Provos als unpolitisch, unartikuliert und unwirksam bezeichnen, eines kann man nicht ableugnen, die Provos haben es verstanden zu zeigen, >wer wie unterdrückt wird<." Als Enfant terrible der Frankfurter Schülerschaft setzte er 1968 die Provo-Tradition fort, indem er sich stets führend an regelverletzenden Aktionen beteiligte – etwa anlässlich der Aktionen gegen die Notstandsgesetze am 30. Mai 1968 oder als er dazu aufforderte, Bundespräsident Heinrich Lübke bei einem Besuch in Frankfurt mit Luftballons, Seifenblasen und Tuten zu empfangen.[Forum, Nr. 1 v. Juni 1968, 4; Kaiser, Werkstatt , 58; Peng, Nr. 3, [Mai 1967], o.Pag. (hier das nachfolgende Zitat); Dehm an >Liebe Freunde<, 24.7.1969, DKA, LN/D/31; Vgl. Frankfurter Neue Presse v. 7./8.12.1968, Lübke-Flugblatt in FUB/Z16/APO-Archiv, SDS-Gruppen: Frankfurt 1967-69.).