Liebe Genossinnen und Genossen,

Wir Westlandesvorsitzenden sind uns in einem einig: kein Flügel der Linkspartei – ob rechts, links oder Mitte – ist gegenwärtig gut beraten, auf das echte Gegengewicht der Andersdenkenden - und dies trifft auch auf den Bundesverband der WASG zu! – zu verzichten. Da ich nicht selbst kandidieren möchte, will ich hier umso pointierter für mehr Ausgewogenheit streiten.
Immerhin: nahezu alle, die aus verschiedensten reformorientierten, marxistischen oder sogar zentristischen Strömungen der Sozialdemokratie in den letzten zehn Jahren in die PDS, bzw. Linkspartei, gekommen waren, fanden sich – meist  unversehens, irritiert und ungewollt – schließlich auf dem linken Flügel der „neuen“ Partei wieder. Und zwar: ganz ohne nun kommunistische oder andere radikale Ideale übernommen zu haben.
Mit der Kandidaturverweigerung nahezu aller etablierter PDS-Funktionsträger auf dem Geraer Parteitag kam es zu einem unausgewogenen Parteivorstand, den ich nun oft genug, auch für uns Ex-SPD-Linke, selbstkritisch bewertet habe. Danach schlug das Pendel aber in ein mindest ebenso ungutes Extrem! Dies geschieht – im Unterschied zu den Schwächen des „Geraer Vorstands“ - aber weitgehend unbemerkt, weil der Führungsapparat die allermeisten innerparteilichen Kommunikationsmittel wie Goldstaub hütet und einseitig einsetzt. Und auch, weil die Konzernmedien für Regierungstreue stets dogmatisch das Attribut „pragmatisch“ bereithalten.
Die Politik des Parteivorstands orientiert sich mittlerweile allzumeist am Berliner Senat, der dem „EU-Verfassungsvertrag“ im Ratifikationsverfahren zugestimmt hat, der die Milliarden-Risikoabschirmung für sittenwidrige Spekulantenfonds innerhalb von kürzester Zeit gegen die Kritik von Attac usw. durchgeboxt hat, der in der Vergangenheit wenig Sympathie für Anti-Bush-Demos oder Privatisierungsverbote hatte und eher „allmählich“ zur Ablehnung von  Mehrwertsteuererhöhungen bewegt werden konnte usw. Der Berliner Senat ist in erster Linie ein Bündnis mit dem rechten SPD-Flügel, während die SPD-Linken im oft vergeblichen Hoffen auf Harald Wolf viel Terrain verloren haben. (Die einstimmige Gemeinsamkeit im PV in Sachen Kuba-Solidarität ist weithin Ausnahme geblieben.)
Gleichzeitig unterblieb es innerhalb der PDS, die aus dem Strömungsverbot der SED-Vergangenheit gelernt haben wollte, von „Parteilinken, Zentrum und Parteirechten“ überhaupt offen zu sprechen. Zumindest, was dies Rede- und Denktabu anbetrifft, sind heute sämtliche sozialistischen Parteien in Europa weiterentwickelt! Dort bekennen sich Funktionsträger offen dazu, generell oder in einer konkreten Frage innerparteilich  “in der Mitte, rechts oder links“ zu stehen.
Je mehr aber die offene Rede über innerparteiliche Rechts/Links-Strömungen vom Führungspersonal unterdrückt wird, desto rigoroser ist sein Wirken für den einen, den regierungsunkritischen Flügel der Linkspartei und seine Ausgrenzungspolitik gegen Links und Mitte. (Unter den Abteilungsleitern im KL-Haus gibt es nicht mal einen oder eine einzige, die die Parteilinke auch nur in ihrer Strömungsnähe nennen könnte!) Rhetorische Scharfmacher „ziehen“ mit Führungspersonal aus dem KL-Haus und dessen innerparteilicher Kommunikations-Power „durch“, wo immer sie können. Die Mitte und die Linke in der Partei haben oft im PV nicht mal die geringste Chance, mit Argumenten überzeugen zu können – die Abstimmungen erscheinen wie im Vorfeld zementiert. Was immer Lothar subjektiv umtreibt, in dieser Amtszeit ersteht bei vielen die Frage: leiht Lothar lediglich einer einzigen innerparteilichen Richtung stets sein ehrliches Gesicht? Sind das wirklich Gutmütige, denen er da seine gutmütige Stimme verleiht?
Die Personalentscheidungen in der Parteispitze dieser Legislatur waren völlig einseitig und sind sämtlich – sehr vorsichtig gesagt – nicht eben links der Parteirechten anzusiedeln. Auch bei der Bundestags-Fraktionsspitze hatten Solid-Genossinnen so gut wie keine Chance bei Neueinstellungen, während doch allerhand „senats-nähere“ junge Menschen gute Jobs bekamen.
Vor dem Parteitag in Dresden hatte der Parteivorstand noch mit Mehrheit Harald Werner als Chef der Grundsatzabteilung bestimmt. Aber bereits am Abend nach Parteitagsschluss wurde verkündet, dies würde Horst Kahrs, Referent des Berliner Bürgermeisters Wolf. Und in dieser Richtung endet auch die Legislatur des PV: als Nachfolgerin von Dagmar Enkelmann schlägt Lothar (der schon andere wg. „zu exponierten Wirkens zum Kandidaturverzicht“ aufgefordert hat) die enge Mitarbeiterin von Berlinbürgermeister Wolf,  Katina Schubert, zur Stellvertreterin vor und betont gleichzeitig, dies sei „natürlich keine Flügelentscheidung“. K. Schubert war bis vor  wenigen Tagen noch Bundes-Sprecherin der sogenannten Reform“linken“, eines klaren Parteiflügels im Plattformstatus. Mit ihren teilweise billigsten Polemiken gegen WASG, Oskar Lafontaine, EU-Verfassungsvertragsgegner usw., die sie bis heute (im Unterschied zu anderen) nicht korrigiert hat, und die jetzt im KLH-Führungspersonal als „ihre Kraft zur Zuspitzung“ gepriesen werden, hat sie in kaum einer Prognose der letzten zwei Jahre richtig gelegen. Ihr Kurs kollidierte nicht nur mit nachdenklicheren Funktionsträgern, sondern musste oft auch von den Parteitagsdelegierten massiv korrigiert werden.
Dieser Personalvorschlag deutet - wie andere - eher auch auf einen unfreundlichen Empfang von WASGlern im Parteineubildungsprozess der nächsten Monate hin.
Jedoch: es muss jetzt einfach unseren beiden linken Parteien gelingen, ohne flachen Avantgardismus in den entscheidend tagespolitischen Themenfeldern sich zueinander und zur Bevölkerungsmehrheit mehr Nähe zu erarbeiten. Dabei müssen wir den Mut haben, zusammen zu einer wirklich neuen Partei  zu wachsen, die in die Kämpfe um die Rechte der Arbeitenden wirkungsvoller einzugreifen vermag, den populären Charme des Antikapitalismus neu ausreizt und dem Medienboykott mit eigenständiger Kulturarbeit eine Gegenöffentlichkeit abtrotzt.  Regierungsbeteiligungen – das haben Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer und ich im ND vom 4.Februar näher ausgeführt – sind dabei weder dogmatisch einzugehen, noch abzulehnen. Die Bedingungen, unter denen sie zu bewerten sind, kumulieren in einem: am Ende müssen die aktivierbaren, linken Kräfte in der Gesellschaft messbar stärker geworden sein.
Das Klima im Parteivorstand aber lässt für eine so erneuerte Parteipraxis zunehmend weniger erhoffen. Es wird für solche Genossinnen und Genossen, die anders denken, als der Berliner Senatsflügel, immer weniger erträglich und verträglich. Bei ihrer Kandidatur droht K. Schubert gar, hoffentlich würde sie nicht mehr gezwungen, „so wie früher zuzuspitzen“. Was das meint, bezeugte ihre engste Flügel-Gefährtin Elke Breitenbach aus dem Berliner Landesvorstand, als sie mich in einer Kneipe öffentlich anfeixte, ich sei „blöder als ein Stück Scheisse“. Im Parteivorstand auf „diese neue Tonart unter Genossen“ angesprochen, wiederholte sie frohgemut, dazu würde sie „voll stehen und es gerne wiederholen“ – ohne dass Lothar Bisky oder Bodo Ramelow auch nur eine Silbe der Mahnung zur Mässigung für nötig hielten. Es heißt zwar, Lothar Bisky habe mit allen anderen Frauen im PV gesprochen, bevor er dann K. Schubert vorschlug. Zumindest Sahra und Dorothee wissen aber nichts davon.
Sicher wachsen die grundsätzlichen programmatischen Gemeinsamkeiten zwischen Ost- und West-Linken von Jahr zu Jahr immer mehr. Kulturell – das hat uns der frühere SPD-Linke Peter von Oertzen 2002 in einem zu wenig beachteten Offenen Brief analytisch angeraten – muss noch lange von großen Unterschieden ausgegangen werden. Die hessische Kommunalwahl, bei deren Erfolg Wolfgang Gehrcke und viele Landesvertreter entscheidend mitgeholfen hatten, braucht aber ebenso wie die vor uns liegende Kommunalwahl in Niedersachsen, viel mehr Gehör für eine westoppositionelle Kultur, als die breite Mehrheit im PV zu akzeptieren bereit ist.
Nach dem jüngsten einvernehmlichen Treffen der westdeutschen Landesvorsitzenden gingen einige Funktionsträger im KL-Haus in der Ausgrenzerei sogar soweit, den westdeutschen Landesvorsitzenden die formale Legitimität eines Treffens überhaupt, des Nutzens der 12 E-Mailadressen und der Veröffentlichung ihrer Diskussionsergebnisse in der Partei grundsätzlich zu bestreiten!!! Und dies, nachdem alle wesentlichen Entscheidungen der Parteispitze in den letzten Jahren hauptsächlich von Ostlandesvorsitzenden  bestimmt worden waren und die sechs ostdeutschen Landesverbände für über 90% der Parteitagsdelegierten stehen, während der Westen mit maximal 40 Bundesdelegierten bei der Bundestagswahl die Mehrheit der Wählerstimmen in absoluten Zahlen brachte.
Sicher wird der Führungsapparat im KL-Haus nun mit allen dezenten Mitteln, soweit er in die Landesdelegationen hinein reicht, für entsprechende Strömungskandidaten, die – sehr vorsichtig gesagt -  bis vor kurzem wenig Enthusiasmus gegen den EU-Verfassungsvertrag und für Privatisierungsstop zeigten, werben.
Mittlerweile haben sich hingegen westdeutsche Landesvorsitzende am 31.3. in Frankfurt a/M verständigt, einstimmig zumindest vier von 20 Positionen im PV zu unterstützen: Dorothee Menzner, Susanne Danowski (AG B&G), Harald Werner und Wolfgang Gehrcke. Wohlwollen in vielen westdeutschen Landesverbänden  gibt es darüber hinaus besonders für Sahra Wagenknecht, die Migrantin Özlem Demirel (Bundesdelegierte aus NRW), Antje Brose von „solid“ und den Betriebsrat und Programmatiker Dr.Manfred Sohn.
Wohlbemerkt: alle Mitte/Links-Kandidaturen zusammen werden in jeder Konstellation eine Minderheit gegen den Senatsflügel sein - und leider auch bleiben. Ob aber im PV Argumente überhaupt noch gewichtet werden oder Mehrheiten schon im vorhinein ausgezählt und eingesetzt sind, entscheidet die Stärke dieser Minderheit – und damit auch Eure Delegation.
Mit sozialistischem Gruß
(Diether Dehm, Landesvorsitzender der Linkspartei Niedersachsen)