Die Programmkommission der Partei DIE LINKE hat ihren ersten Entwurf für das Parteiprogramm vorgelegt. Mit diesem Entwurf befasst sich in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Freitag" ein kritischer Kommentar des Redakteurs Michael Jäger. Im Zentrum stehen die Fragen nach demokratischen Wirtschafts- und Eigentumsformen, die im Programmentwurf im Kapitel "Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert" aufgeworfen und beantwortet werden. Jäger wirft der LINKEN vor, in der Eigentumsfrage in einem (überholten) "schlichten Dualismus" zwischen Privat- und Kollektiveigentum zu verharren, über den DIE LINKE eine "problematische Nähe zur alten SED aufrecht erhalte".
In ihrer Forums-Replik auf der Webseite des Freitag ( http://www.freitag.de/positionen/1014-die-prager-tuer-linke-programm-eigentum ) arbeiten Andrej Hunko (MdB, DIE LINKE) und Diether Dehm (MdB, DIE LINKE) die Schwächen in Jägers Argumentation heraus: Jäger kann seine Programmkritik nur mit einer verkürzten und falschen Marx-Interpretation sowie einer unzulässigen, historisch unhaltbaren Gleichsetzung der SED-Programmatik und Politik einerseits und den Passagen zu Eigentum, Verstaatlichung und Vergesellschaftung im Programmentwurf andererseits, aufrecht erhalten. Hunko und Dehm zeigen demgegenüber die Rolle des Staates ("Der Staat ist das einzige Rechtssubjekt, das enteignen kann") sowie die Möglichkeiten (zivil)gesellschaftlicher Mitbestimmung in Wirtschaftsfragen auf, die bereits im Programmentwurf ausdifferenziert dargestellt werden. Sie betonen, dass DIE LINKE mit ihrem Programm und darüber hinaus den Diskurs über eine sozialistische Wirtschaftsform sowie eine demokratische Staatsreform öffnen muss.
aus: Freitag (Nr. 14 - 8.April 2010 - Seite 11)
Michael Jäger bläst mit seinem Programmentwurfs-Verriss ins mediale Horn der Anti-Antikapitalisten, die DIE LINKE ums Alleinstellungsmerkmal "Eigentumsveränderung" kastrieren und so ins grünlich-liberale Wahlkampflager einfrieden wollen. Wo er dem Entwurf wegen dessen Enteignungsperspektive "problematische Nähe zur alten SED", die ". nicht einmal die Schwelle des Prager Frühlings überschritten habe", andichtet, gefährdet Jägers nekrophiler Antikommunismus auch das Alleinstellungsmerkmal des "Freitag". Selbst gegen Springerblätter und Spiegel.
Wenn Jäger behauptet, in der DDR habe es bereits - wie im Entwurf - "neben Werktätigenkollektiven . Privateigentum an Kleinbetrieben" gegeben, überschätzt er das halbstaatliche Handwerk, dessen Gängelung Ulbricht mit der "NÖSPL" lockern wollte, was zu seinem Sturz führte. Und er unterschätzt die Totalverstaatlichung durch Honecker und Mittag nach 1970. Die DDR verfügte keinesfalls über jene Marktinstrumente(zB "checks & ballances"), wie sie der Programmentwurf empfiehlt.
Ähnlich wie Schröder und Fischer sieht Jäger mit der Enteignung der Deutschen Bank, der Verstaatlichung des gesamten Kreditsektors, mit der Überführung der Energiekonzerne und der gesamten Daseinsvorsorge in Gemeineigentum "bedenklich naiven. Kollektivismus" und "Verneinung individueller Freiheit" (Westerwelle: "SED light") aufziehen.
Großspurig zitiert Jäger hierzu das Marxsche Kapital, ohne dies offensichtlich weitergelesen zu haben. Im vorletzten Absatz des ersten Bands ist nämlich nicht abstrakt von "individuellem Eigentum" die Rede. Wörtlich heißt es: "das individuelle Eigentum auf der Grundlage . der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel." Und der letzte Halbsatz des genannten ersten Bandes lautet: ". hier handelt es sich um Expropriation weniger Usurpatoren durch die Volksmasse." (MEW 23, 791)
Der Weihrauch, welcher seit Jahrzehnten aus der rechtssozialdemokratischen Gebetsmühle "Verstaatlichung nein - Vergesellschaftung ja" aufsteigt, heißt auch bei Jäger seit langem "Zivilgesellschaft". So, als ob nicht Ku-Klux-Klan und Kameradschaften auch "Zivilgesellschaft" wären. Als ob Vergesellschaftung von strategischem Kapital ohne Staat und Verstaatlichung nach Art 15. Grundgesetz auch nur einleitbar seien. Als ob ohne Entmachtung der Kreditzocker die individuelle Freiheit von Wucherzinsen für hunderttausende Kleinstunternehmen überhaupt nur denkbar wäre. Als ob ohne antikapitalistische Entmachtung der Konzerne hunderttausende Reparaturbetriebe und Zulieferer überhaupt zu "re-individualisieren" wären. Als ob ohne "Expropriation der Expropriateure" Handwerk und Milchbauern von der Angst vor undemokratischer Enteignung, nämlich vor der Insolvenzwelle, zu befreien wären.
Jäger zitiert aus dem Entwurf "starke Mitbestimmungsrechte der Belegschaften als Korrektiv zu den Entscheidungen des Managements. Partizipation an . Unternehmen im Eigentum von Bund, Ländern und Kommunen" und fragt hernach in Sloterdejkscher Entrüstung: "Gab es die nicht etwa schon in der DDR?"
Abgesehen von der Überheblichkeit gegenüber Mitbestimmung und Gewerkschaften berauscht sich Jäger (wie viele gewendete Maoisten u.a. Poststalinisten konvertiert von "soviel Erfahrung mit dem Staatssozialismus") am Nebeldampf der "Zivilgesellschaft" und verzichtet auf nähere Staatsbetrachtung. Ohne Gewaltenteilung, ohne Einklagbarkeit bei unabhängigen Gerichten bleiben auch soziale Rechte entfremdet auf dem Papier. Hingegen streicht der Programmentwurf entscheidende Unterschiede zum sowjetischen Staatsmodell heraus: rechtsstaatliche Gewaltenteilung, unabhängige Rechtssprechung und unmittelbare Partizipation mit konkreten Vorschlägen.
Der Staat ist das einzige Rechtssubjekt, das enteignen kann. Vorausgesetzt allerdings, der nötige Druck wird ausgeübt. Jäger sieht diesen Druck eindimensional: früher "hieß Ausfechten soviel wie Aufstand. Heute heißt es Abwahl." Ohne Streiks? Ohne Massenbewegung und eine zu revolutionären Brüchen bereite Linke? Ohne ein Programm der demokratischen Enteignung? Und eine in solchem Zuge auch kulturell vom Kapitalismus emanzipierende Verstaatlichung soll ausgerechnet den Staat unverändert so belassen? Die Linke muss mit diesem Programmentwurf und um ihrer großen Vergesellschaftungsutopie willen also den Diskurs einer demokratischen Staatsreform eröffnen. Auch wenn viel Eigentum nach der Verstaatlichung den Kommunen, Belegschaften und Genossenschaften geöffnet wird, wenn neue gesellschaftliche Träger (attac, Greenpeace, Amnesty, Friedensbewegung usw.) - wie beim öffentlich rechtlichen Rundfunk - in die Aufsichtsorgane einrücken. Ohne den Staat ins Zentrum der "Demokratisierung von Wirtschaft" (Oertzen) zu stellen, haben auch Zivilgesellschaft und NGOs keine Chance dabei.
Jäger denkt aber dies auch nicht gramscianisch-kulturell. Auf die Frage, warum die Franzosen politisch frecher und freier seien als die Deutschen, antwortete Ernst Bloch einmal: "weil sie den Kopf eines Königs haben rollen sehn". Der Kopf des Königs wäre heute die "Deutsche Bank", die Ausschwitz und Zyklon B profitabel kreditierten, sowie Weltkrieg II, Klimakatstrophe und Massenentlassungen. Eine rechtsstaatliche Volksabstimmung über ihre Enteignung wäre der emanzipativen historischen Tat entsprechend . Und das wäre ein anderer kultureller Einschnitt, als die Verluste der maroden HypoRealEstate zu verstaatlichen. Und auch ein anderer, als die Gründung der SBZ. Als damals eine ausgeblutete Rote Armee einer noch faschistisch durchsetzten Bevölkerung ein paar hundert Exilrückkehrer obendrüber stellte und diesen den weniger werthaltigen Teil deutscher Konzerne übertrug. Die entscheidend neue Kultur stellt sich erst her, wenn Enteignung demokratisch selbst-getan ist!
Diether Dehm (MdB; Mittelstands- u. Europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE; Landesvorsitzender Niedersachsen)
Andrej Hunko (MdB; DIE LINKE Aachen)