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Kategorie: Positionen

Ein Buch über den Spiegel und andere Agenten

Als ich ihn kennenlernte, schenkte mir Peter Sodann »Wer die Zeche zahlt« von Frances Saunders. Mit haarkleinen Belegen, wie US-Geheimdienste und BND seit den 50ern Medienkampagnen steuerten, gegen den sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch, den Maler Pablo Picasso, gegen Bertolt Brecht. Und gegen andere, die schon von Goebbels und McCarthy verfolgt worden waren. »Verschwörungstheorien«? Wo Verschwörungen sind, braucht’s auch Theorie dazu.

Später las ich Erich Schmidt-Eenbooms »Der BND« und »Undercover. Wie der BND die deutschen Medien steuert«. Selbst Spiegel- und Zeit-Mitarbeiter, ja sogar Marion Gräfin Dönhoff, wurden schnöde BND-IMs. Nahkampfziel des Altnazi Reinhard Gehlen: linksliberal reputierte Meinungsmultiplikatoren in den Griff zu kriegen.


Rufmordschwadronen
Der einstige Spiegel-Redakteur Peter-Ferdinand Koch liefert nun in »Enttarnt« anderes Material hinzu, wobei er möglicherweise einigen im Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS), wie Markus Wolf und Werner Großmann, herrschendes Unrecht tut. Aber: Warum soll einer die DDR nach ihrem Untergang noch zu lieben beginnen? Mir hatte dies das Schikane- und Gewaltmonopol der SED zu ihren Lebzeiten schon schwer genug gemacht. Aber wenigstens war die DDR befreit von Auschwitzfinanziers der Deutschen Bank und NS-Staatsterroristen Konrad Adenauers.

Seit April mußte Koch noch keine Zeile schwärzen. Das mag MfS-seitig daran liegen, daß niemand mehr klagen kann. Aber daß weder des Spiegels journalistische Rufmordschwadronen bislang eine einzige einstweilige Verfügung erwirkt haben noch der BND, deutet auf geringe Fehlerquoten. Auch wenn Koch oft räuberpistolig wird (»MfS-Oberst Franz Gold … vormaliger Fleischermeister, der dem Schauspieler Gert Fröbe verblüffend ähnlich sah.«).

Der eigentliche Aufbauer des MfS, Rote-Kapelle-Mitgründer Hans Fruck, hingegen genießt Kochs Respekt (»Lichtblick… aufopferungswürdig mitfühlend; … legendäre Figur, bekannt als »Arbeitergeneral«… konnte… über Mielke oder Honecker ungestraft herziehen… weiser Mann… brillante Menschenkenntnisse«).

Die »friedliche« »Revolution« erfreut sich bei Koch auch nicht vorgestanzten Jubels: Koch nimmt die DDR-Gründungsidee partiell in Schutz: »Fruck bemerkte vor allem dies: Als 1945 Europa in Trümmern lag, sollte ein zweiter Adolf Hitler niemals mehr zugelassen werden… Doch auf Beförderung wie Gehaltszulagen fixierte Karrieristen gewannen zunehmend die Oberhand. Diese augenfällige Veränderung, registrierte Hans Fruck, setzte ein, als sich mit Honeckers Aufstieg auch das Ausleseverfahren des MfS wandelte. Rangerhöhungen wurden nicht mehr über Kriterien nachrichtendienstlicher Kompetenz verfügt, das Vorwärtskommen entschied die genossenschaftliche Cliquen- und Vetternwirtschaft.« (Fassadenzynismus, antifaschistischen Rentnern kubanische Winkelemente in die Hand zu drücken, um die Wahl junger, in ideenlose, angepaßte Regierungsarbeit strebender Karrieristen beklatschen zu lassen, ist ja im linken Lager heute noch nachzuschmecken.)

Von besonderem Kaliber aber ist, was Koch gegen BRD-Geheimdienste abfeuert. Namentlich genannte Nazischergen, wie der Häscher der kleinen Anne Frank, Karl Josef Silberbauer, waren für Organisation Gehlen und BND nichts als »kompetente Köpfe«. Oder: »Jeder Geheimdienst, der etwas auf sich hält, verfolgt dieses Ziel: einen Vertrauten beim Spiegel zu plazieren.« Oder: »Weil Wilfried von Oven in diesen braunen Kreisen verkehrte, avancierte er zum Südamerika-Korrespondenten des Spiegel. Augstein nutzte ihn als Bindeglied zur NS-Kolonie. Dann hofierte das Magazin… Karl Friedrich Grosse, NSDAP-Mitglied, seit 1931 Chef des Auslandspresseclubs unter Ribbentrop.« Oder: »Altnazis, die sich da im Spiegel artikulierten, mochten ihr Drittes Reich nicht aus dem Gedächtnis streichen… Winfried Martini wollte 1966 wohl eine noch offene Rechnung mit Carl von Ossietzky begleichen, dessen Weltbühne er – ohne Aufschrei des Spiegel– zur ›wöchentlichen Beleidigung des deutschen Volkes‹« erklärte. Oder: Altnazi »Franz Alfred Six beschäftigte sich mit einer Europäischen Union – allerdings unter der Zuchtrute des Dritten Reichs mit seinem geliebten Führer… als Sklavenhalter.« Der Spiegel über die »neue Six-Botschaft: ›Die Autoren haben einen Typ globaler strategischer Buchreportage entwickelt, … von der Kritik durchweg freundlich aufgenommen‹… Und wer lieferte die nationalsozialistischen Ladenhüter aus? Der Darmstädter Verlag C. W. Leske, wo Franz Alfred Six den Geschäftsführer gab…. Die nunmehrigen Spiegel-Redakteure Mahnke und Wolff empfahlen den Spiegel-Lesern 1954 ihr aufgefrischtes NS-Produkt, freilich um eine militärpolitische Variante ergänzt: Die Hilfsvölker der Weltmachtgiganten würden an strategischer Bedeutung verlieren.«

Und weiter: »Geheimdienste jedweder Couleur kamen am Spiegel nicht vorbei. … Auf das konspirative Gewerbe wirkte das Magazin wie ein Magnet, denn beim Spiegel hatte sich versammelt, was die Lebensgeister jedes gestandenen Nachrichtendienstes aktivierte, Alkohol, Schulden, Mätressen… Nötigungen … waren die Folge …, wie die des einstigen NS-Hauptsturmführers Horst Mahnke. Er arbeitete seit 1948 für die Organisation Gehlen unter dem Decknamen Klostermann… nebenher Redakteur des Spiegel.«

 


In CIA-Regie
Von Koch erfahren wir auch, wie »Nachrichtendienste den Spiegel bis heute (!) als exklusives Forum begriffen«, daß der frühere Chef der Deutschen Bank und Adenauer-Berater, Hermann Josef Abs (1901–1994), einen hochkarätigen NS-Beamten namens Piepenbrock als Führungsoffizier hatte und wie Altnazi Gehlen unter dem IM-Namen »Rusty« vom CIA in die neue antikommunistische Frontarbeit eingeführt wurde. Und auch, wie konkret der Sturm auf die »Stasi«-Zentrale in der Normannenstraße stattfand: »Der Verdacht, die CIA hätte Regie geführt, erhärtete sich. Die Amerikaner hatten das Steuerruder ohnehin längst übernommen.«

Kochs belegbare Fakten sollten unsere werden, auch wenn er von antikommunistischem Weltbild und snobistischem Spiegel-Stil nicht ganz lassen kann: »Mit Errichtung der DDR im Oktober 1949 fielen antikommunistische Rechthaber aus dem Westen in Massen in den deutschen Rumpfstaat ein… eine Art antikommunistische RAF… aufgestachelt von rund 50 geheimdienstlichen Organisationen, die sich ihre Wühltätigkeit von den Amerikanern oder Engländern fürstlich bezahlen ließen. Sie alle wollten dasselbe: Ulbrichts Gebilde in die Knie zwingen... Die Expansion des MfS war lediglich die Reaktion auf diese gigantische Invasion… Die geheimdienstliche Gülle, die der Westen da über die DDR-Felder goß, förderte die Aggression der Kommunisten. Während im Osten von der Gestapo verfolgte KP-Widerständler endlich ihren Traum von einem kommunistischen Deutschland verwirklicht sahen, versuchten ihre einstigen Verfolger die am Leben gebliebenen Ehedem-Gegner erneut auszuschalten.«

Dann, gegen Ende des Buches, steht schier Unglaubliches: Der »Übergang« zu Honecker im Jahr 1971 war kein gewaltloser Putsch. Vor Ulbrichts Amtssitz Dölln kam es zum Schußwechsel, bei dem eine Frau den Tod fand. Wie dies zum Eifersuchtsmord ihres Mannes mit vollstrecktem Todesurteil umgetuscht wurde, dürfte selbst hartgesottenen MfS-Fans die Kotze hochtreiben.

Ausgerechnet der Arrangeur diesen Justizterrors, Edgar Braun, »den andere MfS-Genossen zum »Himmler der Staatssicherheit« ernannt hatten«, wurde 1989 für BRD-Geheimdienstchef Eckart Werthebach zum MfS-Abwickler und Verfolger seiner früheren Kollegen, zum »Wendewerkzeug«. Und damit nicht genug: Brauns Liebesmordstory wurde als »BND-Schauermärchen, … eines betrogenen Tages bitter ernst genommen – vom heutigen Chefredakteur des Spiegel – von Georg Mascolo«.

Eine Schmonzette? Oder doch nur bitterer Beleg für blutige Wendehalsigkeit, wie sie in allen Geheimdiensten wohnt: »Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird.« (Nietzsche)

Das Buch zum Text:
Peter-Ferdinand Koch: Enttarnt - Doppelagenten: Namen, Fakten, Beweise. Ecowin Verlag, Salzburg 2011, 472 Seiten, 24,90 Euro