Wir dokumentieren an dieser Stelle den Leserbrief in ungekürzter Fassung, welchen Diether Dehm auf den Artikel des Weserkurier vom 02. Januar 2012: "Der falsche Freund" [Seite vier; von Marcus Schuster] geschrieben hat.

In Ihrem Beitrag vom 2. Januar 2012 bemühen Sie sich sicherlich um Differenziertheit. Aber es gelingt nur teilweise. Zu tief sitzt wohl der Stachel, rechtskräftig einen Prozess gegen mich verloren zu haben.

Der demokratische Rechtsstaat unterscheidet sich aber von der DDR, wo allzu oft Gerüchte und Vermutungen rechtsförmige Beweisführungen ersetzten, haltloses Schwadronieren zur Vorverurteilung führte. Im demokratischen Rechtsstaat entscheiden Präzision und rechtskräftige Beweise. (Was auch meine Kritik an der aktuellen BILD-Treibjagd andernorts herausfordert!)


Sie behaupten, ich hätte im „Juni 1971 meine Bereitschaft zur Unterstützung dem MfS signalisiert“. Wie verträgt sich das mit dem von Ihnen zitierten Schreiben des Oberst Gerhard Harnisch „Dehm wird seit Mai 1972 als ‚Westkontaktperson‘ von zentralen Einsatzkadern des ZK in der BRD aufgesucht“? MfS oder ZK? 1971 oder 1972? Wenn Sie damit sagen wollen, dass in der DDR die linke Hand nicht wusste, was die rechte tut, warum übernehmen Sie dann die Stasi-Behauptungen derartig unkritisch und ungeprüft?

Später schreiben Sie, am 25. Juni 1971 habe die Stasi intern einen Vorlauf Perspektiv-IM mit Decknamen „Dieter“ geführt. Warum erklären Sie den Lesern nicht den fundamentalen Unterschied zwischen einem Perspektiv-IM und einem IM? Und erklären, was einen „IM-Vorlauf“ von einem „IM“ unterscheidet?

Sie schreiben: „Für Dehms geglückte Anwerbung sprechen auch folgende Zeilen: „(…) Mit Dehm sind feste Vereinbarungen mit nachrichtendienstlichem Charakter getroffen worden (…)“ Wenn diese „Vereinbarungen“ getroffen wurden, warum sind diese dann nicht in der Akte, von der die Gauckbehörde sagte, sie sei vollständig? Im Übrigen muss nach Stasi-internen Richtlinien eine solche „Vereinbarung“ innerhalb eines halben Jahres als offizielle „Verpflichtungserklärung“ des IM erwirkt werden. Eine solche Verpflichtungserklärung befindet sich aber in den mich betreffenden Stasi-Unterlagen nicht.

Warum erklären Sie Ihren Lesern nicht, dass nämlich in den allermeisten Gerichtsverfahren über den Vorwurf einer „Stasi-IM-Tätigkeit“ das Vorhandensein einer solchen „schriftlichen Verpflichtungserklärung“ (zumindest einer mündlich protokollierten) ausschlaggebend war. Weiterhin schreiben Sie, das „Fehlen einer solchen Verpflichtungserklärung“ in meinen Stasi-Unterlagen sei zu erklären mit der (abenteuerlichen) „Meinung Jochen Staadts“, (eines früheren Maoisten und heutigen „SED-Unrechtsforschers“), „Dehms Verpflichtungserklärung wurde aus der Akte gerissen“. Dies zitieren Sie auch, ohne es nachzuprüfen. Woran erkennen Sie, dass aus einer Akte etwas herausgerissen wurde? Und welche Spuren hinterlässt ein Herausreißen? In der mir zugeschriebenen Akte gibt es zwar einen einzigen leeren Briefumschlag. Dieser war aber immer offen, denn seine Gummierung ist frisch und nicht verklebt. Er hätte also nicht aufgerissen zu werden brauchen, wenn ihm etwas entnommen worden wäre. Warum vertrauen Sie hier so sehr solchen Stellen, die nicht rechtsstaatlich aufklären, sondern politisch diffamieren wollen, wie Jochen Staadts angeblicher „Forschungsverbund“ und Hubertus Knabe?

Und warum vertrauen Sie nicht dem früheren hessischen Innenminister Winterstein, der mich Stasi-Opfer und nicht Täter genannt hat? Oder dem hessischen Parteischiedsgericht der SPD, das ein Verfahren gegen mich – bei Vorlage aller Aktenteile – 1996 straffrei einstellte?

Sie mutmaßen, konspiratives und vorsichtiges Verhalten eines westdeutschen Linken in der DDR (gegen Überwachung durch westdeutsche Geheimdienste) sei ein Beleg für IM-Tätigkeit. Sie haben keine Ahnung, zu welchen Berufsverboten und Drangsalen gegen BRD-Linke allzu häufige Treffen mit DDR-Linken in der BRD führen konnten! Leider hatten in meinem Falle meine damaligen DDR-Freunde recht mit ihren Warnungen, ich solle mich vorsichtiger verhalten, für mich interessiere sich bereits der Verfassungsschutz. Viele Jahrzehnte später konnte ich teilsweise Einsicht in meine Verfassungsschutz-Akte nehmen: Ich wurde von meinem 19. Lebensjahr an durch den Verfassungsschutz bespitzelt! Lange, bevor sich das MfS für mich interessierte. Und die Bespitzelung ging über 1980 hinaus, als ich schon lange wegen meines Ausbürgerungsprotests von der Stasi zum DDR-Staatsfeind gestempelt worden war.

Im Übrigen war ich nach der Biermann-Ausbürgerung ausschließlich in der DDR, um diese von Günter Wallraff, Wolfgang Abendroth und mir verfasste Protestresolution gegen die Biermann-Ausbürgerung dort zu überreichen und dann noch einmal, um Mitgliedern der DDR-Staats- und Parteiführung, wie Kurt Hager, mitzuteilen, dass nur eine Rücknahme der Biermann-Ausbürgerung die bundesdeutsche Friedensbewegung vor einer tiefgreifenden Spaltung bewahren könnte. Weil die SED bei ihrer Meinung blieb, die im Übrigen auch von der DKP übernommen worden war, habe ich meinerseits sämtliche Kontakte zu DDR- und DKP-Stellen für die nächsten ca. zehn Jahre abgebrochen.

Und warum behaupten Sie, „nach Angaben des Stasiopfer-Experten Hubertus Knabe kündigte Biermann im Juli 1978 den Vertrag mit seinem Manager Dehm“? In Wirklichkeit trennten sich Biermann und ich erst viele viele Jahre nach 1978.

Und warum zitieren Sie mich zumindest ungenau: Ich habe Biermann nicht prinzipiell „einen Lügner“ genannt. Traurigerweise hat der einstige Friedenssänger nämlich nicht gelogen, als er begrüßt hat: jeden NATO-Bomben-Einsatz gegen Irak, Belgrad und Afghanistan und als er jetzt sogar in Leipzig für die Verlängerung der Atomkraft geworben hat. Ich habe Biermann ausschließlich vorgeworfen, gelogen zu haben, als er behauptet hat, ich hätte das Management-Verhältnis mit ihm 1977 im Auftrag des MfS begonnen. Warum lesen Sie hier die Stasi-Unterlangen nicht genauer, wenn Sie schon mich nicht genau zitieren wollen? Schauen Sie bitte nach, wann die erste Kenntnisnahme des Management-Verhältnisses Dehm/Biermann beim MfS aktenkundig wurde, und Sie werden feststellen, dass dies erst lange Zeit nach dem Vertragsschluss erfolgte. Die Wahrheit ist: Biermann wohnte bei Wallraff. Und Wallraff wurde von mir bereits gemanaged. Und er schien damit zufrieden gewesen zu sein. Und so riefen mich Wallraff und Biermann gemeinsam ein paar Tage nach der Ausbürgerung 1976 aus Köln an und fragten, ob ich mir zusätzlich das Management von Biermann vorstellen könne. Heute noch halte ich Biermanns damalige Lieder für Meisterwerke und seine politischen Auffassungen damals (!) für zukunftsweisend und so sagte ich eine Woche später begeistert zu. Die Stasi erfuhr das erst viel später – lesen Sie in der Akte nach! – und legte mich dann in die DDR-Einreisefahndung. Nein, im Auftrag der Stasi konnte auch dieses Management nicht angebahnt worden sein. Günter Wallraff erklärte 1996 vor dem SPD-Parteigericht, es habe für mich in damals nur einen „Führungsoffizier“ gegeben – und dieser hieß: Wolf Biermann.

Obiges habe ich alles vor Gericht, wie Sie schreiben, mehrfach eidesstattlich ausgesagt. Wenn Sie der Meinung sind, dass ich hier die Unwahrheit gesagt habe, so erstatten Sie doch einfach Strafanzeige wegen falscher eidesstattlicher Versicherung, was ein Straftatbestand ist. Ansonsten wäre es für Ihre Zeitung angemessener, hier nicht weiter zu mutmaßen, sondern sich an rechtsstaatlich Beweisbares zu halten.

Diether Dehm