Diether Dehm

Die Dimitrowsche Faschismusdefinition, wonach der Faschismus „an der Macht die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ ist, war nach 1934 die Grundlage, in sehr großer Breite eine Front gegen den Faschismus aufzubauen. Die erste Konsequenz war die „Brüsseler“ KPD-Konferenz 1935, bei der - zu spät - die Volksfront-Strategie verabschiedet wurde (auch wenn sie durch Kominternprägungen diesen Namen nur teilweise verdient hat). Später haben Antifaschisten wie Erich Weinert und Walter Ulbricht das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ gegründet, das auch deutsche Wehrmachtssoldaten mit nationalen Argumenten erfolgreich zum Desertieren aufrufen konnte. Und – darauf basierend – entstand später die „Nationale Front“ in der DDR.


In jedem Falle aber ist das Grundprinzip einer großen antifaschistischen Breite auch die Basis der Friedensbewegung gewesen, z. B. mit ihrem Durchbruch 1981 gegen die Atomraketen im Bonner Hofgarten mit über 300 000 Teilnehmern. Das breite Bündnis (Krefelder Appell), das auch gemäßigte Rechte und CSU-Leute wie Alfred Mechtersheimer, esoterisch geprägte Christdemokraten wie Franz Alt gewann, aber auch Mitstreiter, die später in bedenklichen Parteikonstellationen wie der ÖDP ihren Platz fanden. Ich selbst war damals im Rahmen des Krefelder Appells als Sprecher von „Künstler für den Frieden“ tätig und habe mit zahlreichen sehr prominenten Künstlern wie Peter Maffay, Howard Carpendale, Roland Kaiser und anderen deren Unterschrift unter den Appell erreicht, die auch nicht in allen Fragen meine Auffassungen vertraten. Im Wesentlichen aber ging es beim Gewinnen von Multiplikatoren auch um das Gewinnen von Alltagsbewusstsein. Aus der Einengung der Dimitrowschen Definition auf den Hauptfeind, die am meisten imperialistischen Teile des Finanzkapitals, die aus Krieg und Faschismus bis vor 70 Jahren so bruchlos monopolistische Extraprofite erzielen konnten, ergab sich die Verbreiterung einer Bewegung, die eben auch tief ins Alltagsbewusstsein reichte. Um diese Breite heute zu zerschlagen, wirken u. a. auch die Antideutschen von innen: „ausgerechnet“ jetzt, wo die imperialistische EU-Politik, z. B. durch die Nullzinsen für Kleinsparer, TTIP, Rettung von Bankprofiten etc. breite Potenziale der sozialen Unzufriedenheit bis in den „Mittelstand“ hinein produziert.


Zu den herrschenden Demagogien der 80er Jahre, die Friedensbewegung sei nur nützlicher Idiot der Russen und die Fünfte Kolonne der Bolschewiken, gesellen sich neuerdings die Argumente der Antideutschen, Kritik am israelischen oder US-Imperialismus sei antisemitisch und ein Kampf gegen eine auf den Ukraine-Konflikt ausgerichtete Aufrüstungsstrategie der NATO sei prorussisch und Geschenk an den "homophoben Sexisten und Nationalisten" Wladimir Putin.


Gleichzeitig vertreten die Antideutschen die Auffassung, dass jegliche Verschwörungstheorie eo ipso schon auf dem Weg in einen neuen Rechtsradikalismus liege. Das ist clever, denn somit erschweren sie natürlich, dass einigen von ihnen selbst eine Nähe zum Mossad oder anderen Spin-Doctors der imperialistischen Strategien nachgesagt werden darf. Es wird also ein Denken eingeschüchtert, das danach fragt: Wem nützt es, dem Alltagsbewusstsein derart feindlich und überheblich entgegenzutreten, wie es die Antideutschen wollen und womit sie auch innerhalb der Linken Wirkung erzielen?


Wenn sich aber eine antifaschistische und antiimperialistische Bewegung wieder in größerer Breite ergeben sollte, muss sie zunächst ihr Verhältnis zum Alltagsbewusstsein klären. Es hilft da nichts, dem Alltagsbewusstsein zu unterstellen, es sei „nach rechts offen“. Weil dies einer Tautologie gleichkommt. Denn Alltagsbewusstsein ist natürlich auch nach links offen und vermischt auch gewisse Elemente dessen, was irgendwann einmal, vor grauer Vorzeit, aus der Sitzordnung im ersten deutschen Parlament als rechts und links abgeleitet wurde und was (im Vergleich zu „antiimperialistisch“ und „imperialistisch“) nur bedingt definitionsbildend ist.


Zunächst wird dem Alltagsbewusstsein bzw. weniger linken Bündnispartnern einer neuen Friedensbewegung unterstellt, sie seien „strukturell esoterisch“. Das ist gelegentlich zutreffend, denn jede breite antifaschistische Bewegung, sei sie im zweiten Weltkrieg oder danach entstanden, hat sich stets auch um die Kirchen bemüht. Und Kirchen ohne Esoterik sind einfach undenkbar. Aber auch, wenn sich heute jemand z. B. für sein Sternbild oder Horoskop interessiert, kann er durchaus als esoterisch gelten. Sie oder ihn also auszugrenzen würde die Bewegung Breite kosten. Wollen wir mit Christen, Juden, Muslimen etc. gegen die neuen Kriege kämpfen oder wollen wir es nicht? Wenn wir es gemeinsam wollen, müssen wir zumindest auch weltanschauliche Unterschiede akzeptieren.


Dann wird aus den dunklen Quellen der Antideutschen (auf den Spuren besonders antikommunistischer Vertreter der Frankfurter Schule und ihrer Freud-Auslegung) in die Linke hinein gespült, „deutsche Sekundärtugenden“ seien in ihrem Wesen bereits auf dem Weg nach rechts. Also ein bestimmtes Bekenntnis zu Familie, Nation, Heimat, Ordnung, Pünktlichkeit etc. sei schon selbst embryonale Form, die im Kopf unweigerlich in Richtung Faschismus tendiere. Die linke Bewegung in der Welt, aber besonders in Lateinamerika, zeigt hingegen, dass eine sogar überstarke Heimatliebe auch antiimperialistisch nach links gehen kann. Zahlreiche Wahlkämpfe linker Präsidenten in Lateinamerika basierten auch auf dieser Grundannahme. Auch die Nation muss, sogar in der humanistischen Definition von Bertolt Brecht, überhaupt nicht in Richtung Nationalismus gehen („... und weil wir dies Land verändern/lieben und beschirmen wir‘s/und das liebste mag’s uns scheinen/so, wie andern Völkern ihrs“). Zwischen nationalem Bewusstsein und nationalistischer Ideologie waren in verschiedensten Bewegungen auf der Welt tiefe unüberwindbare Gräben. Die Herrenmenschideologie der Nazis jedenfalls hatte mit dem Nationalverständnis der Hölderlin, Hegel, der Revolutionäre von 1848, mit Positionen, die später von Antifaschisten wie Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger gegen die Nazis gewendet wurden, nichts zu tun. (Als ich z. B. mit der Gruppe „Zupfgeigenhansel“ deutsche Volkslieder neu aufgenommen habe, haben wir immer darauf geachtet, dass auf jeder Schallplatte und in jedem Konzert auch die schönen jiddischen Lieder als Teil deutscher Nationalkultur erklingen.)


Aus der antideutschen Quelle sprudelt ebenfalls, dass jeder Form der Xenophobie (ein Modewort, das dem Gehalt von Chauvinismus und Rassismus in keiner Weise entspricht, sondern eher verniedlicht und inflationiert) eine faschistische Tendenz innewohnt. Wer also ein „Zigeunerschnitzel“ bestellt, ist als „Ziganophober“ gleichzusetzen mit jemandem, der Auschwitz relativiert. Wer an einem Stammtisch einen Frauenwitz macht oder ein bekennender Pornographiekonsument ist, ist gleichzusetzen mit jemandem, der die Hitlerjugend, den Bund Deutscher Mädchen oder die Zwangsarbeit verherrlicht. Auf dieser Grundlage hätten die Antifaschisten, die gegen Hitler kämpften, keinerlei Erfolge haben können. Und auch die Friedensbewegung der 80er Jahre hätte so nicht so breit werden können.


Auch „Verschwörungstheorien“ pauschal für ein rechtes Projekt zu erklären, gehört zu den Tricks der Spin-Doctors in den Medienlabors unserer Gegner. Damit ist es nicht mehr möglich, die Nazi-Verschwörung beim "Sender Gleiwitz", die 1939 zum Überfall auf Polen führte, den inszenierten Tonkin-Zwischenfall, der die Bombardierung Vietnams promoten half, die Medienlügen vor dem Kosovo-Krieg, eine Mitwirkung des CIA bei Nine/Eleven und die angeblichen Giftgasdepots Saddam Husseins als mediale Verschwörung verlogener Presse theoretisch zu bestimmen.


Aber bei „Verschwörungstheorien“ ist es so wie bei allen Theorien: Es gibt dumme, die sich auf der Flucht vor komplexen und gesellschaftlichen Zusammenhängen ins Monokausale versteigen. Und es gibt intelligente, die auf der Basis etwa einer marxistischen Geschichtsanalyse auch die kleinen miesen Tricks der Herrschenden als Verschwörungen ausdeuten. Verschwörung anstelle von Kapitalanalyse oder antiimperialistischer Politik anzunehmen, ist natürlich Unsinn. Auf der Basis dessen hingegen können sie durchaus auch aufklären und Bündnispartner gewinnen helfen.


Es scheint also im 70. Jahr nach der Befreiung den Spin-Doctors unseren Feinde zu gelingen, in Köpfen den traditionellen Antifaschismus auszuradieren und ihn durch den Kodex von political correctness zu ersetzen. "Political correctness"-Kriterien haben nur einen erheblichen Nachteil für uns als Linke: Gewerkschaftsfeindlichkeit und Antikommunismus finden darin keinen Platz, sind aber ein wesentlicher Bestandteil dessen, was Thomas Mann mit „Antikommunismus als Grundtorheit der Epoche“ erklärt hatte. Denn der Faschismus war nicht überall homophob, nicht überall antisemitisch, nicht überall völkisch-chauvinistisch und nicht überall kriegerisch (der portugiesische Faschist Salazar hielt sein Land sogar aus Hitlers Weltkrieg heraus). Aber eines hat jeder Faschismus der Welt, von Mussolini über Hitler bis Pinochet, terroristisch betrieben: Die Zerschlagung der organisierten ArbeiterInnenbewegung und deren Parteien!


Es ist schon bemerkenswert, wie ignorant Verbreiter antideutscher Versatzstücke sogar innerhalb der Linken gegenüber ihrer punktuellen Kongruenz sind, die sie hier mit der Springer-Presse, mit Spiegel online, Claus Kleber und anderen Kriegspropagandisten aufweisen. Und wie effizient "Political Correctness" per "Querfrontfalle" nach links schnappt, zeigte die deutsche Medienkampagne gegen den kleinen Koalitionspartner der regierenden griechischen Linkspartei, Anel, eine konservative Partei, die entschlossen gegen die faschistische "Goldene Morgenröte" kämpft, die wenige Stunden nach der Koalitionsvereinbarung die Staatsbürgerschaft für Migrantenkinder, Entwaffnung der Polizei bei Großeinsätzen und Humanisierung des Strafvollzugs mit Syriza vereinbart hatte. Die "Anel" wurde von Spiegel und im Bundestag von SPD- und CDU-Granden als "rechtsradikale Partei" verleumdet - und leider plärrten auch Vertreter des linken Lagers mit. Es ist wohl darum, dass Alexis Tsipras, Vizepräsident der Europäischen Linkspartei, gemeinsam mit mir als deren Schatzmeister bereits im Dezember letzten Jahres einen Beschluss in unsere Athener EL-Vorstandssitzung eingebracht hatten, in der ein grundsätzlich anderes Umgehen mit Faschisten (Verbote) gefordert wurde, als mit Populisten (Diskurs) und solchen Rechtskonservativen, die auf dem Boden der Verfassung agieren.


Auch das nur durch machtvolle Redundanz und Konditionierung aufrechtzuerhaltende Konstrukt, eine Kritik an der israelischen Regierung, an deren Siedlungspolitik und an ihrem Staatsterror gegenüber Palästinensern sei antisemitisch, gipfelt in der Perversion, solche Juden, die wie Abraham Melzer, Moshe Zuckermann, Evelyn Hecht-Galinski und viele andere die israelische Politik kritisch sehen, seien „sich selbst hassende Juden“, also „strukturelle Antisemiten“. Kein Schreibagent der Konzernmedien würde doch einer Mutter, die öffentlich den Tod ihres russischen Soldatensohns in der Ost-Ukraine beklagt und kritisch mit Putin umgeht, unterstellen, sie sei eine „sich selbst hassende Russin“. Dennoch wird dieser Mechanismus gewaltsam und teilweise sogar meinungsterroristisch gegen kritische Jüdinnen und Juden exekutiert. Und das nicht nur von Lakaien der herrschenden Kaste wie Henrik M. Broder, sondern durchaus auch von blond-blauäugigen deutschen Journalisten.


Mit sozialen Netzwerken, Shitstorms und dem Zusammenspiel von Wikipedia mit dort hyperagilen Hauptamtlichen der Adenauerstiftung u. ä. sind neue Möglichkeiten erwachsen, Linke zu skandalisieren und auch Untertanen in ehrverletzende Kleinkriege zu verstricken und damit von Oben und von Hauptwidersprüchen abzulenken: Anything goes! Aber bestimmte ehrverletzende Diffamierungen sind einfach nicht hinzuschnoddern! Und es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass Faschismus ein Verbrechen und Auschwitzleugnung ein Straftatbestand ist, der ebenso belastbarer Beweisführung bedarf wie Mord oder Beihilfe zu Mord. Sollten Linke nicht im Geiste Abendroths auch mit Andersdenkenden die Unschuldsvermutung des demokratischen Rechtsstaats hochhalten, damit auch Rufmord gegen Linke nicht mehr so leicht von der Hand geht?


Objektiver Hauptzweck der antideutschen Strategie und ihrer Transporteure in die Linke ist, Bewegungen auf der Straße zu erschweren, einzuschüchtern und zu verringern. Gerade in diesen Krisenzeiten. Eine Ansprache des Alltagsbewusstseins soll elitär verunmöglicht werden. Ja, wenn es nach diesen Kräften geht, sollen wir uns vom Alltagsbewusstsein abwenden, dort, wo es sich kristallisiert (an Arbeitsplätzen, in Büros, im Vereinsleben, auf dem Fußballplatz oder im Schrebergarten, womöglich am Skat-Tisch etc.). Die Exekuteure der Political Correctness wollen ums Alltagsbewusstsein einen Stacheldraht ziehen, weil ja überall dort auch ein schräger Witz lauert, eine politisch unkorrekte Bemerkung gemacht werden kann.


Und selbstverständlich gibt es auch Kulturschaffende (ich habe sie während des Krefelder Appells zahlreich erlebt), die, weil sie mit diesem Alltagsbewusstsein ihre populären Hits und damit ihre berufliche Zukunft verbinden, ähnliche, auch mal schräge und politisch inkorrekte Auffassungen spontan in ein Mikro plappern. Wer Alltagsbewusstsein und dessen kulturelle Akteure also vorschnell ausgrenzt, verzichtet oft damit auf Massen, die notwendigerweise in Bewegung kommen müssen, wollten wir Faschismus, Monopolkapital und Krieg effizient Einhalt gebieten.


Wahrhaft zugrunde liegt diesem „Sperrgebiet Alltagsbewusstsein“ (Michael Chevalier nannte es in den 80er Jahren mit einem bedenkenswerten Aufsatz in den Blättern für Internationale Politik einmal die „Unbarmherzigkeit der aufgeklärten Menschen“), dass eine psychologistische Meinung von Meinungsbildung herangezogen bzw. konditioniert werden soll: Eine unausgegorene Meinung entstehe angeblich innerhalb der Hirnschale, habe eine innere Tendenz (natürlich nach rechts) und sondere den Träger dieser Meinung oder den Multiplikator, der sie anspricht, etwa beim „Friedenswinter“, aus der vornehmen Gemeinschaft der politisch Korrekten aus. Was übrig bleibt, ist mit Snobismus oder „linkem Sektierertum“ zu überschreiben, wenn auch Linkssektierer in der Praxis mit Antideutschen nicht immer direkt zu tun haben wollen.


Deswegen ist es nötig, dem Psychologismus eine materialistische Erkenntnistheorie (mit L. S. Wygotski, Leontjew, Holzkamp u. a.) entgegenzusetzen, die der Historizität entspricht: Ein Wort ist demnach nämlich nicht einfach nur phonetisiertes Denken. Wird ein Gedanke herausgefordert, nach außen, in einen elaborierteren Sprachzusammenhang zu treten, formatiert er sich dabei zugespitzter, als er ursprünglich gedacht war. Je mehr also ein Gedanke in einen praxisorientierten Zusammenhang des Sprechens aufsteigt, um sich in Handeln einzubringen, desto mehr präzisiert, formatiert und orientiert er sich auch hin auf die Kräftekonstellation in diesem Praxiszusammenhang. Aus Organischem wird Organisiertes. Würden sich zum Beispiel "politische" Meinungen abseits von Geschichte, rein aus psychologistischer Determination entfalten oder wären sie nur daraus deutbar, dann gäbe es ja keine logische Erklärung für aus Opportunismus oder Karrierismus geborener Phrasenwirkung, bzw. für die von oben konditionierten Demagogien, die Brechts „pachtbare Intellektuelle, die Tuis“, medial unter die Leute zu bringen haben. (Bourdieu nannte solcherlei Meinungsmacher: „Trojaner des Neoliberalismus“).


Es ist also alles Denken immer auch umkämpftes Gebiet und das Alltagsbewusstsein schon allemal. Letzteres ist überhaupt nicht vorstellbar abseits der Macht des Kapitals und seiner Medienkonstellation. Aber auch nicht abseits der Linken und deren Aufklärungsstrategien bzw. der ArbeiterInnenbewegung. Demzufolge ist der Marxsche Satz, die Geschichte sei eine Geschichte von Klassenkämpfen, auch auf das Denken und auf das Alltagsbewusstsein anzuwenden. Ein Gedanke ist also nicht in der Hirnschale abgeschlossen und tendiert dort nach rechts oder links, sondern wird von den bewegenden Kräften einer Gesellschaft mit beeinflusst, besonders wenn es ein der Gesellschaft direkt zugewandter Gedanke ist. Man darf also durchaus die 11. Feuerbach-These von Marx so deklinieren: „Die Antiimperialisten haben das Alltagsbewusstsein nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, es zu verändern.“


Ich habe viele Kollegen bei Hoesch 1969 erlebt, die vor dem Streik durchaus "xenophob" waren und, nachdem sie mit italienischen Kollegen Streikposten gestanden hatten, internationale Solidarität durchaus neu zu deklinieren wussten. Nono, Henze, Süverkrüp, Degenhardt und Floh de Cologne haben dieses Lernen im Streik mit zahlreichen Musikwerken gepriesen.


Und auch wer heute gegen die NATO kämpft und ihre Kriegsbestrebungen gegen Russland, wer für säkulare, konfliktmildernde Kräfte im Nahen Osten eintritt und womöglich auch für linke Regierungen in Europa, Afrika und Lateinamerika eine neue Breite der Bewegung anstrebt, kommt um das Alltagsbewusstsein nicht herum. Wer Antifaschismus, (mit dessen „roten Kernen“ der proletarischen Freiheiten) oder antiimperialistisches Denken durch Political Correctness ersetzt, landet nicht nur in der Mönchszelle eines vollständigen Unverstandenseins von der arbeitenden Bevölkerung und Abgeschiedenheit von nichtmonopolistischen Schichten, sondern gelegentlich auch im Verstehercockpit israelischer Jagdbomber.


Eckart Spoo hat auf Weltnetz.tv meisterhaft nachgewiesen, warum die proimperialistischen Spin- Doctors so gejubelt haben, als und wie das Wort „Lügenpresse“ zum "Unwort des Jahres" hochgejubelt worden war: Damit kann eben auch ein Teil der nötigen Kritik an der Mainstreampresse und den Konzernmedien eingeschüchtert werden. So etwas erleichtert das Handwerk der Kriegstreiber hinter und in den Redaktionen ebenso, wie das Diskreditieren von „Verschwörungstheorien“ künftige Verschwörungen erleichtert und das Ausgrenzen von Esoterikern ein Bündnis von Linken und Christen verunmöglicht. Im 70. Jahr nach der Befreiung sollten Antiimperialisten aber festhalten am roten Kern des antifaschistischen Bewusstseins. Der heißt, dass die erkämpften sozialen und politischen Rechte der ArbeiterInnenbewegung ins Zentrum ihrer Gegenöffentlichkeit gehören (wie es übrigens Pierre Bourdieu immer gefordert hat) und dass eine konsequente antiimperialistische Strategie auf ein Volksbündnis zielt, das zumindest die Macht der „am meisten imperialistischen Teile des Finanzkapitals“ (Dimitrow) überwinden hilft.


Wer Alltagsbewusstsein zum umkämpften Gebiet erklärt, wird dabei auch stets seine Haltung zu überprüfen haben: Ein A-priori-Avantgardismus, also sich selbst zur Vorhut irgendeiner Klasse und Bewegung mit Absolutheitsanspruch zu erklären und somit den Charme eines Umerziehungslagers auszustrahlen, führt leicht in sektenhafte Sackgassen. Nützlicher wäre eine „Avantgarde posthum“ mit dem bescheideneren Gestus von Brecht:


„Ich benötige keinen Grabstein, aber/Wenn ihr einen für mich benötigt/Wünschte ich, es stünde darauf:/Er hat Vorschläge gemacht. Wir/Haben sie angenommen./Durch eine solche Inschrift wären/Wir alle geehrt.“

 

Erschienen in Marxistische Blätter, in Heft 3/15: Befreiung ...und dann? Es hat 40 Jahre gedauert, bis 1985 ein Bundespräsident des (west-)deut- schen Teilstaates vom 8. Mai 1945 als »Tag der Befreiung« sprach und auch den antifaschistischen Widerstand der Kommunisten würdigte.