Mit einem lesenswert not-wendigen Beitrag hat Götz Eisenberg in der jungen Welt vom 22.7. die Diskussion um eine Brache der Linken wieder angestoßen. Aber allzuviel bleibt bei ihm noch antiautoritär pauschaliert: "In einer an ihrem Reichtum erstickenden Gesellschaft beobachten wir neuartige Formen der Kindsaussetzung". Nun ist keine Klassengesellschaft dergestalt, dass da in der Regel die die Kinder aussetzen, die "an ihrem Reichtum ersticken".

 

Eisenberg verharrt zuoft in der Individualpsychologie der 68er, abseits von Arbeitsbiographien und fixiert auf die Kindheit: "Von Sigmund Freud und Wilhelm Reich haben wir gelernt: Am Grunde unserer Neurosen liegen häufig abgewehrte sexuelle Triebwünsche ... Verdrängung bedeutet Produktion von Unbewusstheit und damit Einschränkung des Bewusstseins ... Unterdrückung macht dumm."

 

Auf der Grundlage der materialistischen Sprachpsychologen Wygotski, Leontjev, viel später Lucien Seve ("Marxismus und Persönlichkeitsentwicklung") und Klaus Holzkamp, erscheint solcherlei "Dummmachung" kaum als aus einem hellen Tank "Bewusstsein" verdrängte Umfüllung in den dunklen Tank "Unbewusstheit". Widerspiegelt der Mensch nämlich stoffliche Welt dialektisch in der Tendenz von begrifflicher Verallgemeinerung, aber korrespondierend mit der Tendenz zur bildhaften Konkretion, lernt er also gleichzeitig in Bewusstsein und "Unbewusstheit"! Demzufolge unterdrückt eine Verdrängung beides: sowohl die sprachliche Intelligenz, als auch deren affektive, weniger bewusste Merkpotenziale. Mit reiner "Rückfüllung" ins Bewusste, etwa per individualsprachlicher Vorhaltung, ist Therapie also weniger erfolgreich.

 

Aufklärend ist Eisenbergs Übernahme von A. Koestlers und J.P. Satres Empfehlungen für einen pragmatischen "Modus Vivendi" mit Komplexen und anderen Neurosen: "etwas aus dem zu machen, was man mit uns gemacht hat." Aber dann greift Eisenberg mit der Empfehlung, der Mensch könne "sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen", zu kurz. Heisst dieser Sumpf nämlich kapitalistische Entfremdung, nährt er Komplexstrukturen und Neurosen immer aufs Neue. Dann zieht er stärker herunter, als der individuelle Schopf zu halten vermag. Warum also nur zum individuellen Schopf greifen, wenn der kollektive Antagon der Entfremdung, die Werktätigen, eine viel höhere Hebelwirkung entfalten? Und wenn Streiks und ähnlich vernetzter Widerstand auch individuell erhebliche Therapieerfolge bereiten können? Die Debatte muss weitergehen. Aber nicht ohne die großen sowjetischen, sowie ohne die anderen, noch zu wenigen materialistischen Psychologen einzubringen.

 

(Leserbrief zu Götz Eisenberg, jw 22.7.17)

Dr. Diether Dehm, Hannover