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Kategorie: Fragen zur linken Hegemoniearbeit

konferenz9maerz.jpgRedebeitrag auf der Konferenz: Die Linke und die Zukunft Europas: „Für eine demokratische, freiheitliche, soziale und Frieden sichernde Verfassung der Europäischen Union“

Ich möchte meine Bemerkungen mit einem Zitat aus dem Maastricht-Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts beginnen. Es lautet: „Nimmt ein Verbund demokratischer Staaten hoheitliche Aufgaben wahr und übt dazu hoheitliche Befugnisse aus, sind es zuvörderst die Staatsvölker der Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parlamente demokratisch zu legitimieren haben. Mithin erfolgt demokratische Legitimation durch die Rückkopplung des Handelns europäischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten; hinzu tritt – im Maße des Zusammenwachsens der europäischen Nationen zunehmend – innerhalb des institutionellen Gefüges der Europäischen Union die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament.“


In diesem Sinne müssen wir uns immer wieder klarmachen: Gerade die sich immer stärker ausweitende Rechtsetzung durch die Organe der Europäischen Union ist nur dann wirklich demokratisch legitimiert, wenn die nationalen Parlamente maßgeblichen Einfluss auf ihre Regierungen bei deren Tätigkeit in den Räten der EU nehmen.


Dazu fehlten in Deutschland bisher weitgehend rechtliche und tatsächliche Voraussetzungen. Durch eine Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesrat ist jetzt geregelt worden, dass der Bundestag als nationales Parlament umfassende Informationen erhält und dass die Regierung von einer Festlegung durch ihn nur im Ausnahmefall abweichen darf.


Ein stärkerer demokratischer Einfluss der nationalen Parlamente auf die europäische Rechtsetzung erfordert zugleich, das Monopol der Kommission auf Rechtsetzungsinitiativen zu brechen. Auch die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen das Recht haben, auf entsprechende Forderungen ihrer Parlamente hin im Rat Rechtsetzungsvorschläge zu machen. Und – das will ich deutlich unterstreichen – es muss natürlich auch das Europäische Parlament Rechtsetzungsinitiativen ergreifen können.


Diese Mängel an demokratischer Legitimation bestehen nicht nur im geltenden EU-Vertragsrecht. Ihre Behebung ist auch im gescheiterten Verfassungsvertrag nicht vorgesehen. Dieser gescheiterte Verfassungsvertrag soll der EU immer mehr Kompetenzen übertragen, ohne dass eine klare Kompetenzabgrenzung zu den Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten erfolgt.
Etwaige Zuständigkeits- und Subsidiaritätsklagen der Mitgliedsstaaten sollen zudem vom Europäischen Gerichtshof entschieden werden, der ja geradezu der Vorreiter der vertragswidrigen Inanspruchnahme von Kompetenzen durch die EU ist. Zu Recht hat der ehemalige deutsche Bundespräsident Herzog die Schaffung eines Gerichtshofs für Kompetenzfragen gefordert, der aus Richtern der Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten besteht.
Gerade weil der Bundestag wichtige Aufgaben innerhalb des Gesamtgefüges der Europäischen Union hat, stand die Arbeit an einer europapolitischen Alternative von Anfang an im Zentrum der Europapolitik unserer Bundestagsfraktion. Dabei hat sich die Bundestagsfraktion vor allem an der Willensbildung der Parteien Linkspartei.PDS und WASG orientiert.


Bereits am 31. Oktober 2004 hatte der Parteitag der PDS beschlossen: „Die PDS lehnt den am 29. Oktober 2004 unterzeichneten Vertrag über eine Verfassung für die EU ab: Auf dieser Grundlage kann ein friedliches, soziales und demokratisches Europa nicht verwirklicht werden.“


Mit diesem Parteitagsbeschluss, der – allerdings nur auf Deutsch – in den Tagungsmappen enthalten ist, war eine notwendige Vorbedingung für den gemeinsamen Wahlantritt von Linkspartei.PDS und WASG bei den Bundestagswahlen 2005 gegeben.


Ohne eine klare Absage an den Verfassungsvertrag hätte es kein Zusammengehen von Linkspartei.PDS mit der WASG und Oskar Lafontaine gegeben. Der Beschluss ist – so kann man es wirklich sagen – eine wesentliche Grundlage für die Existenz unserer Fraktion, durch die die deutsche Linke nach drei Jahren wieder in den Bundestag einzog. Der Beschluss war somit auch Voraussetzung für die weitere parteipolitische Perspektive der deutschen Linken.


Am 24. und 25. März werden die Parteitage der Linkspartei.PDS und der WASG übereinstimmend die Gründungsdokumente für die neue Partei DIE LINKE. beschließen. Nach Urabstimmungen in beiden Parteien wird die neue Partei am 16. Juni gegründet.


Der Potsdamer Parteitagsbeschluss war nicht gegen Europa gerichtet, nicht gegen die europäische Integration. In dem Beschluss heißt es ausdrücklich: „Die PDS sagt nicht einfach Nein zum unterzeichneten Vertrag. Sie lehnt die europäische Integration nicht ab. Sie will sie anders gestalten.“ Als Ziel fordert er ein „Vertragswerk“, das „als Verfassung den Erfordernissen eines friedlichen, sozialen und demokratischen Europa gerecht wird.“


Der Parteitagsbeschluss stand unter der Überschrift: „Elemente einer Verfassung für ein friedliches, soziales und demokratisches Europa.“


Die Bundestagsfraktion hat den Beschluss des Parteitags als Auftrag ernst genommen und seit Beginn ihrer parlamentarischen Existenz an Elementen für einen alternativen Verfassungsvertrag gearbeitet. Dabei war immer klar, dass wir mit unserem Arbeitspotenzial weit entfernt davon sind, einen alternativen Verfassungsvertrag in toto erarbeiten zu können. Es konnte nur darum gehen, wichtige Elemente und Eckpunkte zu konzipieren und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Aber auch dabei handelte es sich immerhin um eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.


Ein wichtiger Schritt bei der Erfüllung dieser Aufgabe war die Einbringung eines Antrags in den Deutschen Bundestag. Dieser Antrag mit dem Titel  „Für eine demokratische, freiheitliche, soziale und Frieden sichernde Verfassung der Europäischen Union“ liegt euch in den Tagungsmappen vor.


Der zweite wichtige Schritt war die Vorlage des Memorandums durch unsere Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Dieses Memorandum ist der Hauptgegenstand der heutigen Konferenz. Wir hoffen, dass das Memorandum ein wichtiger Beitrag für eine Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union in der gesamten europäischen Linken werden wird.


Ich möchte einige Essentials aus unseren Vorschlägen noch einmal unterstreichen, Essentials, die sich auf die Notwendigkeit eines alternativen Verfassungsvertrags und auf zentrale inhaltliche Aspekte der europäischen Politik beziehen.


Dabei kann und will ich keine Vollständigkeit beanspruchen.


Nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags hat es eine Vielzahl von Diskussionen über Alternativen gegeben. Mit vielen Vorschlägen besteht ein hohes Maß an Übereinstimmung. Das gilt etwa auch für einen großen Teil, aber nicht alle Vorschläge in der „Charta der Grundsätze für ein anderes Europa.“ Es gibt aber einen ganz wichtigen Unterschied: Wir formulieren ganz bewusst nicht nur politische Prinzipien. Vielmehr wollen wir mit konkreten politischen Eckpunkten eine sehr konkrete inhaltliche Perspektive für einen alternativen EU-Verfassungsvertrag aufzeigen. Dabei sind wir der Überzeugung, dass wir einen anderen  rechtsverbindlichen Rahmen für die Politik der Europäischen Union brauchen.


Wir halten eine bloße Streichung des die Bestimmungen des EU-Vertrags und des EG-Vertrags aufnehmenden und verändernden III. Teils des gescheiterten Verfassungsvertrags für keine wirkliche Lösung, wenn zugleich diese Verträge unverändert bestehen bleiben. Denn es sind ja im Wesentlichen diese Verträge, die seit der Einheitlichen Europäischen Akte, über die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza eine zunehmende neoliberale und militaristische Ausrichtung der Europäischen Union begründet haben. Sie würden weiterhin die praktische Politik der EU nach innen und nach außen bestimmen.


Wir halten es für ausgeschlossen, dass der I. Teil des Verfassungsvertrags im Wesentlichen unverändert akzeptiert werden kann. Dieser Teil enthält nicht nur in Artikel 41 die Verpflichtung zu Aufrüstung, die Selbstermächtigung zu weltweiten militärischen Interventionen und die Herausbildung eines militärischen Kerns von Mitgliedsstaaten in der Form einer strukturierten Zusammenarbeit. Im Teil I des Verfassungsvertrages werden die vier Grundfreiheiten zu Grundprinzipen der EU erhoben. Gerade diese Grundfreiheiten sind ein ideologischer Ausgangspunkt für die neoliberale Ausrichtung der Europäischen Union, auf den sich Kommission und Europäischer Gerichtshof berufen. Solche neoliberalen Grundprinzipien dürfen keinen Vorrang vor den Prinzipien der Sozialstaatlichkeit und der sozialen Grundrechte haben. Auch die institutionellen Vorschläge entsprechen nicht einer demokratischen Union gleichberechtigter Mitgliedsstaaten.


Zu dem Abbau der Militarisierung und zur Friedensfähigkeit der EU gehört es auch, eine Entkoppelung der EU von der NATO und damit von der unilateralen Großmachtpolitik der USA verbindlich durchzusetzen und vertraglich festzuschreiben. Dabei müssen wir als Linke berücksichtigen, dass die militärischen und zivilen Potenziale der EU zwischenzeitlich neben der NATO in der weltpolitischen Arena eine hohe Bedeutung erlangt haben. Scheinbar über Nacht und fast unbemerkt ist mit der Europäischen Union neben ihren ökonomischen Potenzialen eines der stärksten Militärbündnisse der Welt entstanden. Diesen Schritt hat die EU, vor allem unbemerkt von ihren Bürgerinnen und Bürgern, in Übereinstimmung mit den USA, doch durchaus nicht ohne Widersprüche vollzogen. Ein Vergleich der Politik der EU und der USA, eine Analyse von Übereinstimmung und Differenzen, ist für die Linke notwendig. Dabei sticht ins Auge: Einzig die Vereinigten Staaten von Amerika sind ökonomisch und militärisch in der Lage, Kriege von weltweiter Bedeutung zu führen. Und: Sie waren und sind skrupellos genug, es auch zu tun. Den qualitativen und quantitativen Unterschied sollte die Linke nicht übersehen.

Die europäische Linke muss ihre Kraft darauf konzentrieren, dass sich Europa von der Weltherrschaftspolitik der USA abkoppelt und einen anderen Weg geht. Das wird der Linken den Vorwurf einbringen, sie sei antiamerikanisch, was nicht stimmt. Und es gibt dafür, für einen eigenen europäischen Kurs, viel Zustimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern Europas. Ohne den Schulterschluss mit Europa werden die USA gezwungen sein, ihren Kurs zu verändern. Ich denke, dass eine Zuspitzung, die US-Stützpunkte in Europa zu schließen, die US-Atomwaffen abzuziehen und den jeweiligen Luftraum wieder nationaler Kontrolle zu unterstellen, – „Ami go home!“ – politisch richtig ist und viel Beifall in der Bevölkerung finden wird.


Das Prinzip des „freien und unverfälschten Wettbewerbs“, das sich im I. wie im III. Teil findet, darf nicht länger als Vorwand dienen, um dadurch einen Zwang zur Liberalisierung und zur Privatisierung auszuüben. Eine solche Auslegung des Vertrages durch Kommission und Europäischen Gerichtshof steht diametral den Prinzipien des Artikel 295 entgegen. Artikel 295 schreibt ausdrücklich vor: „Der Vertrag lässt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedsstaaten unberührt.“ DIE LINKE. im Deutschen Bundestag will, dass die Festlegung im deutschen Grundgesetz Bestand hat, dass das Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll. Wir brauchen eine Verfassung, die politischen Handeln nicht auf kapitalistische Formen des Wirtschaftens festgelegt, sondern für verschiedene Politikoptionen neutral ist. Wir fordern, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU, wie die der Mitgliedstaaten, von Verfassung wegen nicht allein auf Preisstabilität ausgerichtet sein darf. Vielmehr muss jede Wirtschafts- und Finanzpolitik auch auf Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung ausgerichtet werden. Wirtschafts- und Finanzpolitik muss endlich dem Ziel der Durchsetzung eines hohen Niveaus an sozialen und ökologischen Standards ausgerichtet werden.


Mit dem Konzept von Eckpunkten für einen anderen Verfassungsvertrag können wir in die Offensive kommen gegenüber der Europäischen Kommission und der großen Mehrheit der Regierungen in den europäischen Mitgliedsstaaten. Und das ist bitter nötig angesichts der Vorhaben, wie sie sich aus dem Ratsbeschluss vom 15./16. Juni 2006 und den Plänen der deutschen Regierung ergeben. Die Bundesregierung will bis zum Ende ihrer Präsidentschaft eine „Road-map“ erarbeiten, nach der dann während der französischen Präsidentschaft in der 2. Jahreshälfte 2008 der Verfassungsvertrag doch noch verabschiedet werden soll – wenn nicht in seinem vollen Wortlaut, so doch in seiner „Substanz“. Wobei die deutsche Ratspräsidentschaft die Essentials durchtricksen möchte – ohne irgendeine weitere Volksabstimmung, was ich einen kalten Putsch des Neoliberalismus nenne.


Ein solches Vorgehen würde, wenn es denn erfolgreich wäre, die EU als dem Anspruch nach demokratische Institution weiter diskreditieren. Das könnte zu politischer Resignation in der Bevölkerung, zu weiter abnehmendem politischen Engagement und zu einer Hinwendung zu autoritären und undemokratischen, auch nationalistischen Positionen führen.


Eine friedliche, demokratische und soziale Alternative zum Verfassungsvertrag ist daher schon erforderlich, um solchen Gefahren offensiv begegnen zu können. In dem Maße, wie es aber gelingt, europaweit erfolgreich für die Positionen dieser Alternative zu werben, ergibt sich eine Perspektive, aus der neoliberalen Sackgasse herauszukommen, in der sich die EU seit über zwei Jahrzehnten befindet.


Bert Brecht sagte 1955 über den Vorläufer des Neoliberalismus, den modernen Kosmopolitismus: „Er hat mit dem der deutschen Klassiker und des Proletariats nichts zu tun. Er verwischt die konkreten Konturen nationaler Kulturen und setzt dafür die odiöse abstrakte Nützlichkeit der Monopole.“


Wenn wir, die Mitglieder der europäischen Linken, in unseren Nationen die Wurzeln vertiefen, in deren Staatlichkeit und Gesetzlichkeiten, deren Sprachen, deren Klassenkämpfen und Parlamenten, in deren Kulturen und Künsten, dann, um die Kraft zu ziehen für die würdigste Aufgabe der Linken: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“