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Drittens: Wir sind die Verfassungspartei

 
Antikommunismus in Historie und Alltagsbewusstsein profitiert davon, dass Grausamkeiten, die auf dem Weg aus der Kapitalherrschaft verübt wurden, isoliert gesehen werden von jenen Grausamkeiten,  die den Menschen auf diesem Weg zuvor angetan worden waren. Gleichwohl: Wir finden zueinander unter Bedingungen einer entfalteten bürgerlichen Demokratie, die sogar in geringem Ausmaß von einem Konsens mitgeprägt ist, der  sich zunehmend kritisch  gegen die Diktatur des hemmungslosen Finanzkapitalismus wendet. In den historisch gewachsenen Gesellschaftskonsens europäischer Staaten scheinen sogar Züge von Hegel, Marx und Brecht eingeschrieben zu sein. Der stetige Misserfolg von Neonazis nunmehr seit 40 Jahren, machtpolitisch Fuß zu fassen, belegt dies ebenfalls. Die Linke ist legal und es gibt derzeit keine Anzeichen dafür, dass die Bourgeoisie diesen Zustand beenden möchte oder könnte. Die Proteste gegen Hartz IV, unsere Demonstrationen gegen die vergangenen drei Kriege haben wir nicht allein vorgetragen. Bis in die herrschenden Parteien, Medien und Institutionen hinein gab es punktuelle Übereinstimmung. Unsere Positionen liegen in einer Perspektive von Brüchen mit der noch mehrheitsbeherrschenden Kapitallogik. Aber wir wollen diese in Staat und Gesellschaft mit neuen Mehrheiten demokratisch und in neuer Belebung unserer Verfassung organisieren. 
 
Aber auch durch die Pläne unserer Feinde von rechts und von oben sind wir auf Kenntnisse des Verfassungsrechts  und der rechtsstaatlichen Absicherungen angewiesen. Die kürzlich herausgekommenen Putschpläne gegen Berlinguer, der Mord an Allende und der kalte Putschversuch gegen Willy Brandt – alles Anfang der Siebziger – beschreiben auch die Anforderungen an eine neue  rechtsstaatliche Linke.
 
Unter diesen Bedingungen werden viele Divergenzen und Bezüge der Vergangenheit obsolet. Einstige dogmatische Bekenntnisse oder ebenso undifferenzierte Pauschalverurteilungen von Maßnahmen führender Kommunisten oder Gegenmaßnahmen von SPD-Führern, die sich auf die Absicherung der jeweiligen Einflusshemisphäre bezogen, haben mit dem heutigen politischen Leben wenig zu tun. Weder ist eine Bürgerkriegsvariante absehbar, noch die daraus abgeleiteten linken Strukturen, Fixierungen und Antifixierungen. Wir verteidigen gegenwärtig den Sozialstaat. Wenn es aber in Zukunft zu einem Bruch mit Grundelementen des Kapitalismus kommen sollte, dann nur auf der Basis breiter Mehrheiten aufgeweckter und aktiver linker Demokraten, nicht nur als Wähler. „Individueller Terror anstelle von Massenbewegungen“ (wie ihn einst Lenin verurteilte) ist der Gegenentwurf zu unseren Optionen. Der Staat, der den Reichtum wieder von oben nach unten verteilt, der die Stromnetze wieder in öffentliches Eigentum holt, der „die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren“ (Brandt) wendet, bezieht seine innere Kraft unter den Bedingungen einer entfalteten bürgerlichen Demokratie nicht aus Armee und Geheimdienst, sondern aus seiner Vertrauenswürdigkeit wegen einer unabhängigen Rechtssprechung und demokratischer Gewaltenteilung. Mochten in der jungen Sowjetunion oder in den ersten beiden Jahrzehnten der DDR die Traumata des Bürgerkriegs, des Massensterbens auf den Schlachtfeldern, der Illegalität und die Charakterprägungen aus Exil und KZs nicht eben „den Boden für Freundlichkeit“ bereitet haben: der Staat, mit dem wir die Tür zu nichtkapitalistischen Verhältnissen aufstoßen, wird, wenn es nach uns geht, ein sozialer, demokratischer Rechtsstaat des Grundgesetzes, stark, weil freundlich und freundlich, weil stark, sein. Auf dieser Grundlage laden wir alle Linken ein, mit uns Demokratie neu zu lernen und die alten Fixierungen hinter uns zu lassen. 
 
Angesichts der aktuellen Entwicklung des transnational aktiven Finanzkapitals und der aggressiven Entwicklung der US-Supermacht und ihrer Mitbewerberin EU um den Weltpokal des Imperialismus ist ohnehin ein neuer Anlauf linker Einigkeit und einer viel breiteren sozialen Bündnispolitik vom ALG-II-Bezieher bis zur Handwerkerin und zum Gewerbetreibenden nötig. Seit dem Schwur von Buchenwald ist zudem eine Überwindung der Spaltung der Arbeiterbewegung noch nie derart zum Greifen nahe gewesen. Mit der Phase der „nachhaltigen  Legalisierung“ in Zentraleuropa ist etwas derart grundsätzlich neues, eine Überwindung alter Spaltungen auch, möglich  geworden. Demokratische Revolutionsperspektive und Konzentration auf pragmatische Reformschritte mit linker Wirkung treten neu zueinander.
 
Einige Analytiker der Arbeiterbewegung hatten eine Schwäche: den Ökonomismus; das heißt, alle geistigen Prozesse und Strategien wurden geradlinig aus dem Stand der Produktivkräfte abgeleitet, ohne Kultur, gesellschaftlichem Denken und Subjektivität eine besondere Rolle einzuräumen. Unsere Gegner waren da oft schlauer. Ihre Strategien leiteten sie auch aus unseren subjektiven Schwächen ab. Die Harzburger Front um Krupp, Stinnes und Hugenberg schrieb so ihren Brief an Hindenburg, Hitler Ende 1932 sofort zum Reichskanzler zu ernennen, nicht nur, weil objektiv die petrolchemische Industrie gerade in eine schwere Krise geraten war, sondern ebenfalls, weil die Linke auch subjektiv gespalten war, sich aber anschickte, an der Überwindung ihrer Spaltung zu arbeiten. Die Offensive des Neoliberalismus seit den Achtzigern war nicht bloß objektiv „der Abschied von fordistischen Produktionsweisen“, sondern Privatisierung und antisozialstaatliche Deregulierung fanden subjektive Akzeptanz und beschleunigten sich mit dem Zusammenbruch des „dritten Tarifpartners DDR“, mit abnehmendem Widerstandsbewusstsein linker Parteien und subjektiven Konfusionen im gewerkschaftlichen Lager im Wendejahr 1989. 
 
Wir – umgekehrt – wären schlecht beraten, unsere Strategie heute nicht auch aus den gegenwärtigen Akzeptanzdefiziten der Kapitalparteien und ihrer Angewiesenheit auf bürgerliche Rechtskultur abzuleiten und medienstrategisch zu öffnen.
 
Der im Grundgesetz festgeschriebene Konsens des demokratischen Rechts- und Sozialstaats mit Angriffskriegsverbot findet in der Linken seine uneingeschränkten Fürstreiterinnen und Fürstreiter. Hatte ein Teil der Linken –  auch geprägt durch eineinhalb Jahrhunderte fürchterlichen Terrorregimes  der Kapitalseite vom Sozialistenverbot über Buchenwald  und später auch die Adenauersche Kommunistenverfolgung – wenig Neigung zum demokratischen Rechtsstaat, haben auch sie seit der Wende ihr Kapitel mühsam und in teilweise selbstzerfleischender Aufarbeitung des Realsozialismus gelernt: Es geht hierzulande nur demokratisch!
 
Wir also sind es heute, die – für das Prinzip der Gewaltenteilung streitend – an der Finanzierung unabhängiger Rechtssprechung festhalten, die das öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Sparkassensystem verteidigen. Wir wollen auch keine EU, wo der Ministerrat als Exekutive das Parlament als Legislative gängelt. Diese Kritik teilen wir mit dem früheren Bundespräsidenten Roman Herzog.
 
Wir sind es, die gegen alle grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Kriege auf die Straße gegangen sind und fester, verlässlicher Bestandteil der Friedensbewegung sind und bleiben. Wir wissen uns zwar einer Mehrheit im Bundestag und anderen herrschenden Institutionen gegenüber, dafür aber einig mit über 70 % der Bevölkerung.
 
Und wir sind die einzige Parlamentspartei, die praktisch und theoretisch ohne jede Abweichung das Prinzip der Sozialstaatlichkeit verteidigen und ausbauen will, welches die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes sogar mit einer mehrheitsimmunen Ewigkeitsklausel umgürtet haben. Die FDP als verfassungsmanipulierende Kraft möchte den Artikel 15 GG streichen, der die Möglichkeit einer Sozialisierung von Produktionsmitteln ausdrücklich vorsieht. Wir wollen das Gegenteil: demokratisch um Mehrheiten ringen für öffentliches Eigentum. Damit Stromnetze, Deutsche Bank und  Allianz nicht mehr länger von der Einflusssphäre der Stimmzettel ausgespart bleiben!
 
In diesem Sinne bereiten wir uns auf den Europa- und Bundestagswahlkampf vor: Wir wollen eine friedliche, demokratisch rechtsstaatliche und soziale EU. Aber keine Brüsseler Agentur für Deregulierung, Lohn und Steuerdumping, für Aufrüstung und „Battle Groups“. Den gescheiterten EU-Verfassungstext haben wir bekämpft, den Lissabonvertrag als einen Versuch hinter dem Rücken der Völker dieselben neoliberalen militaristischen Inhalte durchzutricksen haben wir ebenso abgelehnt. Heute aber sind wir die einzige Partei, die eine Verfassung für Europa will, die allerdings dem Grundgesetz, an das wir gebunden sind und sein wollen, ähnlicher als dem Wunschzettel von Nato und „Arbeitgeber“verbänden sein soll.
 
Dass wir für Frieden und Sozialstaat stehen, wird nirgends bezweifelt. Über den demokratischen Rechtsstaat und über die selbstverschuldeten sowie auch die nicht allein verursachten kriminellen Verfehlungen im Namen von Sozialismus und links haben wir (wie keine andere Partei auch nur annähernd) gestritten, gelitten und harte Entscheidungen getroffen. Wir haben uns diese Auseinandersetzung nie leicht gemacht. Aber heute können wir mit Fug  und Recht sagen: Es gibt bei uns niemanden, der linke Ziele mit Einbußen an demokratischer Rechtsstaatlichkeit erreichen möchte. Wir sind bereit, für dieses Grundgesetz „durchs Feuer zu gehen“.
 
Heute also sind wir in allen entscheidenden Parametern unserer Verfassung – Rechtsstaat, Sozialstaat und Frieden – DIE Grundgesetzpartei.